Gesammeltes Märchen
der Brüder Grimm
Die zwei
Brüder
Es waren einmal zwei Brüder, ein reicher und ein armer.
Der reiche war ein Goldschmied und bös von Herzen; der
arme nährte sich davon, daß er Besen band, und war
gut und redlich. Der arme hatte zwei Kinder, das waren Zwillingsbrüder
und sich so ähnlich wie ein Tropfen Wasser dem andern.
Die zwei Knaben gingen in des Reichen Haus ab und zu und erhielten
von dem Abfall manchmal etwas zu essen. Es trug sich zu, daß
der arme Mann, als er in den Wald ging, Reisig zu holen, einen
Vogel sah, der ganz golden war und so schön, wie ihm noch
niemals einer vor Augen gekommen war. Da hob er ein Steinchen
auf, warf nach ihm und traf ihn auch glücklich; es fiel
aber nur eine goldene Feder herab, und der Vogel flog fort.
Der Mann nahm die Feder und brachte sie seinem Bruder, der sah
sie an und sprach »Es ist eitel Gold«, und gab ihm
viel Geld dafür. Am andern Tag stieg der Mann auf einen
Birkenbaum und wollte ein paar Äste abhauen. Da flog derselbe
Vogel heraus, und als der Mann nachsuchte, fand er ein Nest,
und ein Ei lag darin das war von Gold. Er nahm das Ei mit heim
und brachte es seinem Bruder, der sprach wiederum: »Es
ist eitel Gold« und gab ihm, was es wert war. Zuletzt
sagte der Goldschmied: »Den Vogel selber möcht' ich
wohl haben.« Der Arme ging zum drittenmal in den Wald
und sah den Goldvogel wieder auf dem Baum sitzen. Da nahm er
einen Stein und warf ihn herunter und brachte ihn seinem Bruder,
der gab ihm einen großen Haufen Gold dafür. Nun kann
ich mir forthelfen, dachte er und ging zufrieden nach Haus.
Der Goldschmied war klug und listig und wußte wohl, was
das für ein Vogel war. Er rief seine Frau und sprach: »Brat
mir den Goldvogel und sorge, daß nichts davon wegkommt,
ich habe Lust, ihn ganz allein zu essen.« Der Vogel war
aber kein gewöhnlicher, sondern so wunderbarer Art, daß
wer Herz und Leber von ihm aß, jeden Morgen ein Goldstück
unter seinem Kopfkissen fand. Die Frau machte den Vogel zurecht,
steckte ihn an einen Spieß und ließ ihn braten.
Nun geschah es, daß während er am Feuer stand und
die Frau anderer Arbeit wegen notwendig aus der Küche gehen
mußte, die zwei Kinder des armen Besenbinders hereinliefen,
sich vor den Spieß stellten und ihn ein paarmal herumdrehten.
Und als da gerade zwei Stücklein aus dem Vogel in die Pfanne
herabfielen, sprach der eine: »Die paar Bißchen
wollen wir essen, ich bin so hungrig, es wird's ja niemand daran
merken.« Da aßen sie beide die Stückchen auf;
die Frau kam aber dazu, sah, daß sie etwas aßen,
und sprach: »Was habt ihr gegessen?« »Ein
paar Stückchen, die aus dem Vogel herausgefallen sind«,
antworteten sie. »Das ist Herz und Leber gewesen, sprach
die Frau ganz erschrocken, und damit ihr Mann nichts vermißte
und nicht böse ward, schlachtete sie geschwind ein Hähnchen,
nahm Herz und Leber heraus und legte es zu dem Goldvogel. Als
er gar war, trug sie ihn dem Goldschmied auf, der ihn ganz allein
verzehrte und nichts übrigließ Am andern Morgen aber,
als er unter sein Kopfkissen griff und dachte das Goldstück
hervorzuholen, war so wenig wie sonst eins zu finden.
Die beiden Kinder aber wußten nicht, was ihnen für
ein Glück zuteil geworden war. Am andern Morgen, wie sie
aufgestanden, fiel etwas auf die Erde und klingelte, und als
sie es aufhoben, da waren's zwei Goldstücke. Sie brachten
sie ihrem Vater, der wunderte sich und sprach: »Wie sollte
das zugegangen sein? Als sie aber am andern Morgen wieder zwei
fanden, und so jeden Tag, da ging er zu seinem Bruder und erzählte
ihm die seltsame Geschichte. Der Goldschmied merkte gleich,
wie es gekommen war und daß die Kinder Herz und Leber
von dem Goldvogel gegessen hatten, und um sich zu rächen
und weil er neidisch und hartherzig war, sprach er zu dem Vater:
»Deine Kinder sind mit dem Bösen im Spiel, nimm das
Gold nicht und dulde sie nicht länger in deinem Haus, denn
er hat Macht über sie und kann dich selbst noch ins Verderben
bringen!« Der Vater fürchtete den Bösen, und
so schwer es ihm ankam, führte er doch die Zwillinge hinaus
in den Wald und verließ sie da mit traurigem Herzen.
Nun liefen die zwei Kinder im Wald umher und suchten den Weg
nach Haus, konnten ihn aber nicht finden, sondern verirrten
sich immer weiter. Endlich begegneten sie einem Jäger,
der fragte: »Wem gehört ihr, Kinder?« »Wir
sind des armen Besenbinders Jungen«, antworteten sie und
erzählten ihm, daß ihr Vater sie nicht länger
im Hause hätte behalten wollen, weil alle Morgen ein Goldstück
unter ihrem Kopfkissen läge. »Nun«, sagte der
Jäger, »das ist gerade nichts Schlimmes, wenn ihr
nur rechtschaffen dabei bleibt und euch nicht auf die faule
Haut legt.« Der gute Mann, weil ihm die Kinder gefielen
und er selbst keine hatte, so nahm er sie mit nach Haus und
sprach: »Ich will euer Vater sein und euch großziehen.«
Sie lernten da bei ihm die Jägerei, und das Goldstück,
das ein jeder beim Aufstehen fand, das hob er ihnen auf, wenn
sie's in Zukunft nötig hätten.
Als sie herangewachsen waren, nahm sie ihr Pflegevater eines
Tages mit in den Wald und sprach: »Heute sollt ihr euren
Probeschuß tun, damit ich euch freisprechen und zu Jägern
machen kann.« Sie gingen mit ihm auf den Anstand und warteten
lange, aber es kam kein Wild. Der Jäger sah über sich
und sah eine Kette von Schneegänsen in der Gestalt eines
Dreiecks fliegen, da sagte er zu dem einen: »Nun schieß
von jeder Ecke eine herab.« Der tat's und vollbrachte
damit seinen Probeschuß. Bald darauf kam noch eine Kette
angeflogen und hatte die Gestalt der Ziffer Zwei; da hieß
der Jäger den andern gleichfalls von jeder Ecke eine herunterholen,
und dem gelang sein Probeschuß auch. Nun sagte der Pflegevater:
»Ich spreche euch frei, ihr seid ausgelernte Jäger!«
Darauf gingen die zwei Brüder zusammen in den Wald, ratschlagten
miteinander und verabredeten etwas. Und als sie abends sich
zum Essen niedergesetzt hatten, sagten sie zu ihrem Pflegevater:
»Wir rühren die Speise nicht an und nehmen keinen
Bissen, bevor Ihr uns eine Bitte gewährt habt.« Sprach
er: »Was ist denn eure Bitte?« Sie antworteten:
»Wir haben nun ausgelernt, wir müssen uns auch in
der Welt versuchen, so erlaubt, daß wir fortziehen und
wandern.« Da sprach der Alte mit Freuden: »Ihr redet
wie brave Jäger, was ihr begehrt, ist mein eigener Wunsch
gewesen; zieht aus, es wird euch wohl ergehen.« Darauf
aßen und tranken sie fröhlich zusammen.
Als der bestimmte Tag kam, schenkte der Pflegevater jedem eine
gute Büchse und einen Hund und ließ jeden von seinen
gesparten Goldstücken nehmen, soviel er wollte. Darauf
begleitete er sie ein Stück Wegs, und beim Abschied gab
er ihnen noch ein blankes Messer und sprach: »Wann ihr
euch einmal trennt, so stoßt dies Messer am Scheideweg
in einen Baum, daran kann einer, wenn er zurückkommt, sehen,
wie es seinem abwesenden Bruder ergangen ist, denn die Seite,
nach welcher dieser ausgezogen ist, rostet, wann er stirbt solange
er aber lebt, bleibt sie blank.« Die zwei Brüder
gingen immer weiter fort und kamen in einen Wald, so groß,
daß sie unmöglich in einem Tag herauskonnten. Also
blieben sie die Nacht darin und aßen, was sie in die Jägertaschen
gesteckt hatten; sie gingen aber auch noch den zweiten Tag und
kamen nicht heraus. Da sie nichts zu essen hatten, so sprach
der eine: »Wir müssen uns etwas schießen, sonst
leiden wir Hunger«, lud sein Büchse und sah sich
um. Und als ein alter Hase dahergelaufen kam, legte er an, aber
der Hase rief:
»Lieber Jäger, laß mich leben,
Ich will dir auch zwei Junge geben.«
Sprang auch gleich ins Gebüsch und brachte zwei Junge;
die Tierlein spielten aber so munter und waren so artig, daß
die Jäger es nicht übers Herz bringen konnten, sie
zu töten Sie behielten sie also bei sich, und die kleinen
Hasen folgten ihnen auf dem Fuße nach. Bald darauf schlich
ein Fuchs vorbei, den wollten sie niederschießen, aber
der Fuchs rief:
»Lieber Jäger, laß mich leben,
Ich will dir auch zwei Junge geben.«
Er brachte auch zwei Füchslein, und die Jäger mochten
sie auch nicht töten, gaben sie den Hasen zur Gesellschaft,
und sie folgten ihnen nach. Nicht lange, so schritt ein Wolf
aus dem Dickicht, die Jäger legten auf ihn an, aber der
Wolf rief:
»Lieber Jäger, laß mich leben,
Ich will dir auch zwei Junge geben.«
Die zwei jungen Wölfe taten die Jäger zu den anderen
Tieren, und sie folgten ihnen nach. Darauf kam ein Bär,
der wollte gern noch länger herumtraben und rief:
»Lieber Jäger, laß mich leben,
Ich will dir auch zwei Junge geben.«
Die zwei jungen Bären wurden zu den andern gesellt, und
waren ihrer schon acht. Endlich, wer kam? Ein Löwe kam
und schüttelte seine Mähne. Aber die Jäger ließen
sich nicht schrecken und zielten auf ihn; aber der Löwe
sprach gleichfalls:
»Lieber Jäger, laß mich leben,
Ich will dir auch zwei Junge geben.«
Er holte auch seine Jungen herbei, und nun hatten die Jäger
zwei Löwen, zwei Bären, zwei Wölfe, zwei Füchse
und zwei Hasen, die ihnen nachzogen und dienten. Indessen war
ihr Hunger damit nicht gestillt worden, da sprachen sie zu den
Füchsen: »Hört, ihr Schleicher, schafft uns
etwas zu essen, ihr seid ja listig und verschlagen.« Sie
antworteten: »Nicht weit von hier liegt ein Dorf, wo wir
schon manches Huhn geholt haben; den Weg dahin wollen wir euch
zeigen.« Da gingen sie ins Dorf, kauften sich etwas zu
essen und ließen ihren Tieren Futter geben und zogen dann
weiter. Die Füchse aber wußten guten Bescheid in
der Gegend, wo die Hühnerhöfe waren, und konnten die
Jäger überall zurechtweisen. Nun zogen sie eine Weile
herum, konnten aber keinen Dienst finden, wo sie zusammen geblieben
wären, da sprachen sie: »Es geht nicht anders, wir
müssen uns trennen.« Sie teilten die Tiere, so daß
jeder einen Löwen, einen Bären, einen Wolf, einen
Fuchs und einen Hasen bekam. Dann nahmen sie Abschied, versprachen
sich brüderliche Liebe bis in den Tod und stießen
das Messer, das ihnen ihr Pflegevater mitgegeben, in einen Baum;
worauf der eine nach Osten, der andere nach Westen zog.
Der Jüngste aber kam mit seinen Tieren in eine Stadt,
die war ganz mit schwarzem Flor überzogen. Er ging in ein
Wirtshaus und fragte den Wirt, ob er nicht seine Tiere herbergen
könnte. Der Wirt gab ihnen einen Stall, wo in der Wand
ein Loch war; da kroch der Hase hinaus und holte sich ein Kohlhaupt,
und der Fuchs holte sich ein Huhn und, als er das gefressen
hatte, auch den Hahn dazu. Der Wolf aber, der Bär und Löwe,
weil sie zu groß waren, konnten nicht hinaus. Da ließ
sie der Wirt hinbringen, wo eben eine Kuh auf dem Rasen lag,
daß sie sich sattfraßen. Und als der Jäger
für seine Tiere gesorgt hatte, fragte er erst den Wirt,
warum die Stadt so mit Trauerflor ausgehängt wäre.
Sprach der Wirt: »Weil morgen unseres Königs einzige
Tochter sterben wird.« Fragte der Jäger: »Ist
sie sterbenskrank?« »Nein«, antwortete der
Wirt, »sie ist frisch und gesund, aber sie muß doch
sterben.« »Wie geht das zu?« fragte der Jäger.
»Draußen vor der Stadt ist ein hoher Berg, darauf
wohnt ein Drache, der muß alle Jahre eine reine Jungfrau
haben, sonst verwüstet er das ganze Land. Nun sind schon
alle Jungfrauen hingegeben, und ist niemand mehr übrig
als die Königstochter, dennoch ist keine Gnade, sie muß
ihm überliefert werden; und das soll morgen geschehen.«
Sprach der Jäger: »Warum wird der Drache nicht getötet?«
»Ach«, antwortete der Wirt, »so viele Ritter
haben's versucht, aber allesamt ihr Leben eingebüßt;
der König hat dem, der den Drachen besiegt, seine Tochter
zur Frau versprochen, und er soll auch nach seinem Tode das
Reich erben.«
Der Jäger sagte dazu weiter nichts, aber am andern Morgen
nahm er seine Tiere und stieg mit ihnen auf den Drachenberg.
Da stand oben eine kleine Kirche, und auf dem Altar standen
drei gefüllte Becher, und dabei war die Schrift: Wer die
Becher austrinkt, wird der stärkste Mann auf Erden und
wird das Schwert führen, das vor der Türschwelle vergraben
liegt. Der Jäger trank da nicht, ging hinaus und suchte
das Schwert in der Erde, vermochte es aber nicht von der Stelle
zu bewegen. Da ging er hin und trank die Becher aus und war
nun stark genug, das Schwert aufzunehmen, und seine Hand konnte
es ganz leicht führen. Als die Stunde kam, wo die Jungfrau
dem Drachen sollte ausgeliefert werden, begleiteten sie der
König, der Marschall und die Hofleute hinaus. Sie sah von
weitem den Jäger oben auf dem Drachenberg und meinte, der
Drache stände da und erwartete sie, und wollte nicht hinaufgehen,
endlich aber, weil die ganze Stadt sonst wäre verloren
gewesen, mußte sie den schweren Gang tun. Der König
und die Hofleute kehrten voll großer Trauer heim, des
Königs Marschall aber sollte stehen bleiben und aus der
Ferne alles mitansehen.
Als die Königstochter oben auf den Berg kam, stand da
nicht der Drache, sondern der junge Jäger, der sprach ihr
Trost ein und sagte, er wollte sie retten, führte sie in
die Kirche und verschloß sie darin. Gar nicht lange, so
kam mit großem Gebraus der siebenköpfige Drache dahergefahren.
Als er den Jäger erblickte, verwunderte er sich und sprach:
»Was hast du hier auf dem Berge zu schaffen?« Der
Jäger antwortete: »Ich will mit dir kämpfen!«
Sprach der Drache: »So mancher Rittersmann hat hier sein
Leben gelassen, mit dir will ich auch fertig werden«,
und atmete Feuer aus sieben Rachen. Das Feuer sollte das trockene
Gras anzünden, und der Jäger sollte in der Glut und
dem Dampf ersticken, aber die Tiere kamen herbeigelaufen und
traten das Feuer aus. Da fuhr der Drache gegen den Jäger,
aber er schwang sein Schwert, daß es in der Luft sang,
und schlug ihm drei Köpfe ab. Da ward der Drache erst recht
wütend, erhob sich in die Luft, spie die Feuerflammen über
den Jäger aus und wollte sich auf ihn stürzen, aber
der Jäger zückte nochmals sein Schwert und hieb ihm
wieder drei Köpfe ab. Das Untier ward matt und sank nieder
und wollte doch wieder auf den Jäger los, aber er schlug
ihm mit der letzten Kraft den Schweif ab, und weil er nicht
mehr kämpfen konnte, rief er seine Tiere herbei, die zerrissen
es in Stücke. Als der Kampf zu Ende war, schloß der
Jäger die Kirche auf und fand die Königstochter auf
der Erde liegen, weil ihr die Sinne von Angst und Schrecken
während des Streites vergangen waren. Er trug sie heraus,
und als sie wieder zu sich kam und die Augen aufschlug, zeigte
er ihr den zerrissenen Drachen und sagte ihr, daß sie
nun erlöst wäre. Sie freute sich und sprach: »Nun
wirst du mein liebster Gemahl werden, denn mein Vater hat mich
demjenigen versprochen, der den Drachen tötet.« Darauf
hing sie ihr Halsband von Korallen ab und verteilte es unter
die Tiere, um sie zu belohnen, und der Löwe erhielt das
goldene Schlößchen davon. Ihr Taschentuch aber, in
dem ihr Name stand, schenkte sie dem Jäger, der ging hin
und schnitt aus den sieben Drachenköpfen die Zungen aus,
wickelte sie in das Tuch und verwahrte sie wohl. Als das geschehen
war, weil er von dem Feuer und dem Kampf so matt und müde
war, sprach er zur Jungfrau: »Wir sind beide so matt und
müde, wir vollen ein wenig schlafen.« Da sagte sie
»ja«, und sie ließen sich auf die Erde nieder,
und der Jäger sprach zu dem Löwen: »Du sollst
wachen, damit uns niemand im Schlaf überfällt!«
Und beide schliefen ein. Der Löwe legte sich neben sie,
um zu wachen; aber er war vom Kampf auch müde, daß
er den Bären rief und sprach: »Lege dich neben mich,
ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke
mich auf!« Da legte sich der Bär neben ihn, aber
er war auch müde und rief den Wolf und sprach: »Lege
dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn
was kommt, so wecke mich auf!« Da legte sich der Wolf
neben ihn, aber auch er war müde und rief den Fuchs und
sprach: »Lege dich neben mich, ich muß ein wenig
schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf!« Da legte
sich der Fuchs neben ihn, aber auch er war müde und rief
den Hasen und sprach: »Lege dich neben mich, ich muß
ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf!«
Da setzte sich der Hase neben ihn, aber der arme Has war auch
müde und hatte niemand, den er zur Wache herbeirufen konnte,
und schlief ein. Da schlief nun die Königstochter, der
Jäger, der Löwe, der Bär, der Wolf, der Fuchs
und der Has, und schliefen alle einen festen Schlaf.
Der Marschall aber, der von weitem hatte zuschauen sollen,
als er den Drachen nicht mit der Jungfrau fortfliegen sah und
alles auf dem Berg ruhig ward, nahm sich ein Herz und stieg
hinauf. Da lag der Drache zerstückt und zerrissen auf der
Erde und nicht weit davon die Königstochter und ein Jäger
mit seinen Tieren, die waren alle in tiefen Schlaf versunken.
Und weil er bös und gottlos war, so nahm er sein Schwert
und hieb dem Jäger das Haupt ab und faßte die Jungfrau
auf den Arm und trug sie den Berg hinab. Da erwachte sie und
erschrak, aber der Marschall sprach: »Du bist in meinen
Händen, du sollst sagen, daß ich es gewesen bin,
der den Drachen getötet hat.!« »Das kann ich
nicht«, antwortete sie, »denn ein Jäger mit
seinen Tieren hat es getan.« Da zog er sein Schwert und
drohte, sie zu töten, wenn sie ihm nicht gehorchte, und
zwang sie damit, daß sie es versprach. Darauf brachte
er sie vor den König, der sich vor Freuden nicht zu fassen
wußte, als er sein liebes Kind wieder lebend erblickte,
das er von dem Untier zerrissen glaubte. Der Marschall sprach
zu ihm: »Ich habe den Drachen getötet und die Jungfrau
und das ganze Reich befreit, darum fordere ich sie zur Gemahlin,
so wie es zugesagt ist.« Der König fragte die Jungfrau:
»Ist das wahr, was er spricht?« »Ach ja «,
antwortete sie, »es muß wohl wahr sein, aber ich
halte mir aus, daß erst über Jahr und Tag die Hochzeit
gefeiert wird«, denn sie dachte, in der Zeit etwas von
ihrem lieben Jäger zu hören. Auf dem Drachenberg aber
lagen noch die Tiere neben ihrem toten Herrn und schliefen.
Da kam eine große Hummel und setzte sich dem Hasen auf
die Nase, aber der Hase wischte sie mit der Pfote ab und schlief
weiter. Die Hummel kam zum zweiten Male, aber der Hase wischte
sie wieder ab und schlief fort. Da kam sie zum drittenmal und
stach ihm in die Nase, daß er aufwachte. Sobald der Hase
wach war, weckte er den Fuchs, und der Fuchs den Wolf, und der
Wolf den Bär und der Bär den Löwen. Und als der
Löwe aufwachte und sah, daß die Jungfrau fort war
und sein Herr tot, fing er an fürchterlich zu brüllen
und rief: »Wer hat das vollbracht? Bär, warum hast
du mich nicht geweckt?« Der Bär fragte den Wolf:
»Warum hast du mich nicht geweckt?« Und der Wolf
den Fuchs: »Warum hast du mich nicht geweckt?« Und
der Fuchs den Hasen: »Warum hast du mich nicht geweckt?«
Der arme Has wußte allein nichts zu antworten, und die
Schuld blieb auf ihm hängen. Da wollten sie über ihn
herfallen, aber er bat und sprach: »Bringt mich nicht
um, ich will unsern Herrn wieder lebendig machen. Ich weiß
einen Berg, da wächst eine Wurzel, wer die im Mund hat,
der wird von aller Krankheit und allen Wunden geheilt. Aber
der Berg liegt zweihundert Stunden von hier.« Sprach der
Löwe: »In vierundzwanzig Stunden mußt du hin-
und hergelaufen sein und die Wurzel mitbringen.« Da sprang
der Hase fort, und in vierundzwanzig Stunden war er zurück
und brachte die Wurzel mit. Der Löwe setzte dem Jäger
den Kopf wieder an, und der Hase steckte ihm die Wurzel in den
Mund, alsbald fügte sich alles wieder zusammen, und das
Herz schlug und das Leben kehrte zurück. Da erwachte der
Jäger und erschrak, als er die Jungfrau nicht mehr sah,
und dachte: Sie ist wohl fortgegangen, während ich schlief,
um mich loszuwerden. Der Löwe hatte in der großen
Eile seinem Herrn den Kopf verkehrt aufgesetzt, der aber merkte
es nicht bei seinen traurigen Gedanken an die Königstochter.
Erst zu Mittag, als er etwas essen wollte, da sah er, daß
ihm der Kopf nach dem Rücken zu stand, konnte es nicht
begreifen und fragte die Tiere, was ihm im Schlaf widerfahren
wäre? Da erzählte ihm der Löwe, daß sie
auch aus Müdigkeit eingeschlafen wären, und beim Erwachen
hätten sie ihn tot gefunden mit abgeschlagenem Haupte,
der Hase hätte die Lebenswurzel geholt, er aber in der
Eil' den Kopf verkehrt gehalten; doch wollte er seinen Fehler
wiedergutmachen. Dann riß er dem Jäger den Kopf wieder
ab, drehte ihn herum, und der Hase heilte ihn mit der Wurzel
fest.
Der Jäger aber war traurig, zog in der Welt herum und
ließ seine Tiere vor den Leuten tanzen. Es trug sich zu,
daß er gerade nach Verlauf eines Jahres wieder in dieselbe
Stadt kam, wo er die Königstochter vom Drachen erlöst
hatte, und die Stadt war diesmal ganz mit rotem Scharlach ausgehängt.
Da sprach er zum Wirt: »Was will das sagen? Vor'm Jahr
war die Stadt mit schwarzem Flor überzogen, was soll heute
der rote Scharlach?« Der Wirt antwortete: »Vor'm
Jahr sollte unseres Königs Tochter dem Drachen ausgeliefert
werden, aber der Marschall hat mit ihm gekämpft und ihn
getötet, und da soll morgen ihre Vermählung gefeiert
werden; darum war die Stadt damals mit schwarzem Flor zur Trauer
und ist heute mit rotem Scharlach zur Freude ausgehängt.«
Am andern Tag, wo die Hochzeit sein sollte, sprach der Jäger
um die Mittagszeit zum Wirt: »Glaubt Er wohl, Herr Wirt,
daß ich heut Brot von des Königs Tisch hier bei Ihm
essen will?« »Ja, sprach der Wirt, »da wollt
ich doch noch hundert Goldstücke daransetzen, daß
das nicht wahr ist!« Der Jäger nahm die Wette an
und setzte einen Beutel mit ebensoviel Goldstücken dagegen.
Dann rief er den Hasen und sprach: »Geh hin, lieber Springer,
und hol mir von dem Brot, das der König ißt!«
Nun war das Häslein das Geringste und konnte es keinem
andern wieder auftragen, sondern mußte sich selbst auf
die Beine machen. Ei, dachte es, wann ich so allein durch die
Straßen springe, da werden die Metzgerhunde hinter mir
drein sein. Wie es dachte, so geschah es auch, und die Hunde
kamen hinter ihm drein und wollten ihm sein gutes Fell flicken.
Es sprang aber, hast du nicht gesehen! und flüchtete sich
in ein Schilderhaus, ohne daß es der Soldat gewahr wurde.
Da kamen die Hunde und wollten es heraushaben, aber der Soldat
verstand keinen Spaß und schlug mit dem Kolben drein,
daß sie schreiend und heulend fortliefen. Als der Hase
merkte, daß die Luft rein war, sprang er zum Schloß
hinein und gerade zur Königstochter, setzte sich unter
ihren Stuhl und kratzte sie am Fuß. Da sagte sie: »Willst
du fort!« und meinte, es wäre ihr Hund. Der Hase
kratzte zum zweitenmal am Fuß, da sagte sie wieder: »Willst
du fort!« und meinte, es wäre ihr Hund. Aber der
Hase ließ sich nicht irre machen und kratzte zum drittenmal.
Da guckte sie herab und erkannte den Hasen an seinem Halsband.
Nun nahm sie ihn auf ihren Schoß, trug ihn in ihre Kammer
und sprach: »Lieber Hase, was willst du?« Antwortete
er: »Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist
hier und schickt mich, ich soll um ein Brot bitten, wie es der
König ißt.« Da war sie voll Freude und ließ
den Bäcker kommen und befahl ihm, ein Brot zu bringen,
wie es der König aß. Sprach das Häslein: »Aber
der Bäcker muß mir's auch hintragen, damit mir die
Metzgerhunde nichts tun.« Der Bäcker trug es ihm
bis an die Türe der Wirtsstube. Da stellte sich der Hase
auf die Hinterbeine, nahm alsbald das Brot in die Vorderpfoten
und brachte es seinem Herrn. Da sprach der Jäger: »Sieht
Er, Herr Wirt, die hundert Goldstücke sind mein.«
Der Wirt wunderte sich. Aber der Jäger sagte weiter: »Ja,
Herr Wirt, das Brot hätt' ich, nun will ich aber auch von
des Königs Braten essen.« Der Wirt sagte: »Das
möcht ich sehen«, aber wetten wollte er nicht mehr.
Rief der Jäger den Fuchs und sprach: »Mein Füchslein,
geh hin und hol mir Braten, wie ihn der König ißt!«
Der Rotfuchs wußte die Schliche besser, ging an den Ecken
und durch die Winkel, ohne daß ihn ein Hund sah, setzte
sich unter der Königstochter Stuhl und kratzte an ihrem
Fuß. Da sah sie herab und erkannte den Fuchs am Halsband,
nahm ihn mit in ihre Kammer und sprach: »Lieber Fuchs,
was willst du? Antwortete er: »Mein Herr, der den Drachen
getötet hat, ist hier und schickt mich, ich soll bitten
um einen Braten, wie ihn der König ißt.« Da
ließ sie den Koch kommen, der mußte einen Braten,
wie ihn der König aß, anrichten und dem Fuchs bis
an die Türe tragen. Da nahm ihm der Fuchs die Schüssel
ab, wedelte mit seinem Schwanz erst die Fliegen weg, die sich
auf den Braten gesetzt hatten, und brachte ihn dann seinem Herrn.
»Sieht Er, Herr Wirt«, sprach der Jäger, »Brot
und Fleisch ist da, nun will ich auch Zugemüs' essen, wie
es der König ißt.« Da rief er den Wolf und
sprach: »Lieber Wolf, geh hin und hol mir Zugemüs',
wie's der König ißt!« Da ging der Wolf geradezu
ins Schloß, weil er sich vor niemand fürchtete. Und
als er in der Königstochter Zimmer kam, da zupfte er sie
hinten am Kleid, daß sie sich umschauen mußte. Sie
erkannte ihn am Halsband und nahm ihn mit in ihre Kammer und
sprach: »Lieber Wolf, was willst du?« Antwortete
er: »Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist
hier, ich soll bitten um ein Zugemüs', wie es der König
ißt.« Da ließ sie den Koch kommen, der mußte
ein Zugemüs' bereiten, wie es der König aß,
und mußte es dem Wolf bis vor die Türe tragen, da
nahm ihm der Wolf die Schüssel ab und brachte sie seinem
Herrn. »Sieht Er, Herr Wirt«, sprach der Jäger,
»nun hab ich Brot, Fleisch und Zugemüs', aber ich
will auch Zuckerwerk essen, wie es der König ißt.«
Rief er den Bären und sprach: »Lieber Bär, du
leckst doch gern etwas Süßes, geh hin und hol mir
Zuckerwerk, wie's der König ißt!« Da trabte
der Bär nach dem Schlosse und ging ihm jedermann aus dem
Wege. Als er aber zu der Wache kam, hielt sie die Flinten vor
und wollte ihn nicht ins königliche Schloß lassen.
Aber er hob sich in die Höhe und gab mit seinen Tatzen
links und rechts ein paar Ohrfeigen, daß die ganze Wache
zusammenfiel, und darauf ging er geraden Weges zu der Königstochter,
stellte sich hinter sie und brummte ein wenig. Da schaute sie
rückwärts und erkannte den Bären und hieß
ihn mitgehn in ihre Kammer und sprach: »Lieber Bär,
was willst du?« Antwortete er: »Mein Herr, der den
Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten um Zuckerwerk,
wie's der König ißt.« Da ließ sie den
Zuckerbäcker kommen, der mußte Zuckerwerk backen,
wie's der König aß, und dem Bären vor die Türe
tragen. Da leckte der Bär erst die Zuckererbsen auf, die
heruntergerollt waren, dann stellte er sich aufrecht, nahm die
Schüssel und brachte sie seinem Herrn. »Sieht Er,
Herr Wirt«, sprach der Jäger, »nun habe ich
Brot, Fleisch, Zugemüs' und Zuckerwerk, aber ich will auch
Wein trinken, wie ihn der König trinkt!« Er rief
seinen Löwen herbei und sprach: »Lieber Löwe,
du trinkst dir doch gerne einen Rausch, geh und hol mir Wein,
wie ihn der König trinkt!« Da schritt der Löwe
über die Straße, und die Leute liefen vor ihm, und
als er an die Wache kam, wollte sie den Weg sperren, aber er
brüllte nur einmal, so sprang alles fort. Nun ging der
Löwe vor das königliche Zimmer und klopfte mit seinem
Schweif an die Türe. Da kam die Königstochter heraus
und wäre fast über den Löwen erschrocken; aber
sie erkannte ihn an dem goldenen Schloß von ihrem Halsbande
und hieß ihn in ihre Kammer gehen und sprach: »Lieber
Löwe. was willst du?« Antwortete er: »Min Herr,
der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten
um Wein, wie ihn der König trinkt.« Da ließ
sie den Mundschenk kommen, der sollte dem Löwen Wein geben,
wie ihn der König tränke. Sprach der Löwe: »Ich
will mitgehen und sehen, daß ich den rechten kriege.«
Da ging er mit dem Mundschenk hinab, und als sie unten hinkamen,
wollte ihm dieser von dem gewöhnlichen Wein zapfen, wie
ihn des Königs Diener tranken; aber der Löwe sprach:
»Halt! Ich will den Wein erst versuchen«, zapfte
sich ein halbes Maß und schluckte es auf einmal hinab.
»Nein«, sagte er, »das ist nicht der rechte.«
Der Mundschenk sah ihn schief an, ging aber und wollte ihm aus
einem andern Faß geben, das für des Königs Marschall
war. Sprach der Löwe: »Halt! Erst will ich den Wein
versuchen«, zapfte sich ein halbes Maß und trank
es, »der ist besser, aber noch nicht der rechte.«
Da ward der Mundschenk bös und sprach: »Was so ein
dummes Vieh vom Wein verstehen will!« Aber der Löwe
gab ihm einen Schlag hinter die Ohren, daß er unsanft
zur Erde fiel. Und als er sich wieder aufgemacht hatte, führte
er den Löwen ganz stillschweigend in einen kleinen besonderen
Keller, wo des Königs Wein lag, von dem sonst kein Mensch
zu trinken bekam. Der Löwe zapfte sich erst ein halbes
Maß und versuchte den Wein, dann sprach er: »Das
kann von dem rechten sein«, und hieß den Mundschenk
sechs Flaschen füllen. Nun stiegen sie herauf, wie der
Löwe aber aus dem Keller ins Freie kam, schwankte er hin
und her und war ein wenig trunken, und der Mundschenk mußte
ihm den Wein bis vor die Tür tragen. Da nahm der Löwe
den Henkelkorb in das Maul und brachte ihn seinem Herrn. Sprach
der Jäger: »Sieht Er, Herr Wirt, da hab ich Brot,
Fleisch, Zugemüs, Zuckerwerk und Wein, wie es der König
hat, nun will ich mit meinen Tieren Mahlzeit halten«,
und setzte sich hin, aß und trank und gab dem Hasen, dem
Fuchs, dem Wolf, dem Bär und dem Löwen auch davon
zu essen und zu trinken und war guter Dinge, denn er sah, daß
ihn die Königstochter noch lieb hatte.
Und als er Mahlzeit gehalten hatte, sprach er: »Herr
Wirt, nun hab ich gegessen und getrunken, wie der König
ißt und trinkt, jetzt will ich an des Königs Hof
gehen und die Königstochter heiraten. Fragte der Wirt:
»Wie soll das zugehen, da sie schon einen Bräutigam
hat und heute die Vermählung gefeiert wird?« Da zog
der Jäger das Taschentuch heraus, das ihm die Königstochter
auf dem Drachenberg gegeben hatte und worin die sieben Zungen
des Untiers eingewickelt waren, und sprach: »Dazu soll
mir helfen, was ich da in der Hand halte.« Da sah der
Wirt das Tuch an und sprach: »Wenn ich alles glaube, so
glaube ich das nicht und will wohl Haus und Hof dransetzen.«
Der Jäger aber nahm einen Beutel mit tausend Goldstücken,
stellte ihn auf den Tisch und sagte: »Das setze ich dagegen!«
Nun sprach der König an der königlichen Tafel zu
seiner Tochter: »Was haben die wilden Tiere alle gewollt,
die zu dir gekommen und in mein Schloß ein- und ausgegangen
sind?« Da antwortete sie: »Ich darf's nicht sagen,
aber schickt hin und laßt den Herrn dieser Tiere holen,
so werdet Ihr wohltun.« Der König schickte einen
Diener ins Wirtshaus und ließ den fremden Mann einladen,
und der Diener kam gerade, wie der Jäger mit dem Wirt gewettet
hatte. Da sprach er: »Sieht Er Herr Wirt, da schickt der
König einen Diener und läßt mich einladen, aber
ich gehe so noch nicht.« Und zu dem Diener sagte er: »Ich
lasse den Herrn König bitten, daß er mir königliche
Kleider schickt, einen Wagen mit sechs Pferden und Diener, die
mir aufwarten. – Als der König die Antwort hörte,
sprach er zu seiner Tochter: »Was soll ich tun?«
Sagte sie: »Laßt ihn holen, wie er's verlangt, so
werdet Ihr wohltun.« Da schickte der König königliche
Kleider, einen Wagen mit sechs Pferden und Diener, die ihm aufwarten
sollten. Als der Jäger sie kommen sah, sprach er: »Sieht
Er, Herr Wirt, nun werde ich abgeholt, wie ich es verlangt habe«,
und zog die königlichen Kleider an, nahm das Tuch mit den
Drachenzungen und fuhr zum König. Als ihn der König
kommen sah, sprach er zu seiner Tochter: »Wie soll ich
ihn empfangen?« Antwortete sie: »Geht ihm entgegen,
so werdet Ihr wohltun. – Da ging der König ihm entgegen
und führte ihn herauf, und seine Tiere folgten ihm nach.
Der König wies ihm einen Platz an neben sich und seiner
Tochter, der Marschall saß auf der andern Seite als Bräutigam;
aber der kannte ihn nicht mehr. Nun wurden gerade die sieben
Häupter des Drachen zur Schau aufgetragen, und der König
sprach: »Die sieben Häupter hat der Marschall dem
Drachen abgeschlagen, darum geb ich ihm heute meine Tochter
zur Gemahlin.« Da stand der Jäger auf, öffnete
die sieben Rachen und sprach: »Wo sind die sieben Zungen
des Drachen?« Da erschrak der Marschall, ward bleich und
wußte nicht, was er antworten sollte, endlich sagte er
in der Angst: »Drachen haben keine Zungen.« Sprach
der Jäger: »Die Lügner sollen keine haben, aber
die Drachenzungen sind das Wahrzeichen des Sieges«, und
wickelte das Tuch auf, da lagen sie alle sieben darin, und dann
steckte er jede Zunge in den Rachen, in den sie gehörte,
und sie paßte genau. Darauf nahm er das Tuch. in welches
der Name der Königstochter gestickt war, und zeigte es
der Jungfrau und fragte sie, wem sie es gegeben hätte.
Da antwortete sie: »Dem, der den Drachen getötet
hat.« Und dann rief er sein Getier, nahm jedem das Halsband
und dem Löwen das goldene Schloß ab und zeigte es
der Jungfrau und fragte, wem es angehörte. Antwortete sie:
»Das Halsband und das goldene Schloß waren mein,
ich habe es unter die Tiere verteilt, die den Drachen besiegen
halfen.« Da sprach der Jäger: »Als ich müde
von dem Kampf geruht und geschlafen habe, da ist der Marschall
gekommen und hat mir den Kopf abgehauen. Dann hat er die Königstochter
fortgetragen und vorgegeben, er sei es gewesen, der den Drachen
getötet habe; und daß er gelogen hat, beweise ich
mit den Zungen, dem Tuch und dem Halsband.« Und dann erzählte
er, wie ihn seine Tiere durch eine wunderbare Wurzel geheilt
hätten und daß er ein Jahr lang mit ihnen herumgezogen
und endlich wieder hierhergekommen wäre, wo er den Betrug
des Marschalls durch die Erzählung des Wirts erfahren hätte.
Da fragte der König seine Tochter: »Ist es wahr,
daß dieser den Drachen getötet hat?« Da antwortete
sie : »Ja, es ist wahr jetzt darf ich die Schandtat des
Marschalls offenbaren, weil sie ohne mein Zutun an den Tag gekommen
ist, denn er hat mir das Versprechen zu schweigen abgezwungen.
Darum aber habe ich mir ausgehalten, daß erst in Jahr
und Tag die Hochzeit sollte gefeiert werden.«
Da ließ der König zwölf Ratsherren rufen, die
sollten über den Marschall Urteil sprechen, und die urteilten,
daß er müßte von vier Ochsen zerrissen werden.
Also ward der Marschall gerichtet, der König aber übergab
seine Tochter dem Jäger und ernannte ihn zu seinem Statthalter
im ganzen Reich. Die Hochzeit ward mit großen Freuden
gefeiert, und der junge König ließ seinen Vater und
Pflegevater holen und überhäufte sie mit Schätzen.
Den Wirt vergaß er auch nicht und ließ ihn kommen
und sprach zu ihm: »Sieht Er, Herr Wirt, die Königstochter
habe ich geheiratet, und sein Haus und Hof sind mein.«
Sprach der Wirt: »Ja, das wäre nach dem Rechten.«
Der junge König aber sagte: »Es soll nach Gnaden
gehen: Haus und Hof soll Er behalten, und die tausend Goldstücke
schenke ich ihm noch dazu.
Nun waren der junge König und die junge Königin guter
Dinge und lebten vergnügt zusammen. Er zog oft hinaus auf
die Jagd, weil das seine Freude war, und die treuen Tiere mußten
ihn begleiten. Es lag aber in der Nähe ein Wald, von dem
hieß es, er wäre nicht geheuer, und wäre einer
erst darin, so käme er nicht leicht wieder heraus. Der
junge König hatte aber große Lust. darin zu jagen,
und ließ dem alten König keine Ruhe, bis er es ihm
erlaubte. Nun ritt er mit einer großen Begleitung aus,
und als er zu dem Wald kam, sah er eine schneeweiße Hirschkuh
darin und sprach zu seinen Leuten: »Haltet hier, bis ich
zurückkomme, ich will das schöne Wild jagen«,
und ritt ihm nach in den Wald hinein, und nur seine Tiere folgten
ihm. Die Leute hielten und warteten bis Abend, aber er kam nicht
wieder. Da ritten sie heim und erzählten der jungen Königin:
»Der junge König ist im Zauberwald einer weißen
Hirschkuh nachgejagt und ist nicht wieder gekommen.« Da
war sie in großer Besorgnis um ihn.
Er war aber dem schönen Wild immer nachgeritten und konnte
es niemals einholen; wenn er meinte, es wäre schußrecht,
so sah er es gleich wieder in weiter Ferne dahinspringen, und
endlich verschwand es ganz. Nun merkte er, daß er tief
in den Wald hineingeraten war, nahm sein Horn und blies, aber
er bekam keine Antwort, denn seine Leute konntens nicht hören.
Und da auch die Nacht einbrach, sah er, daß er diesen
Tag nicht heimkommen könnte, stieg ab, machte sich bei
einem Baum ein Feuer an und wollte dabei übernachten. Als
er bei dem Feuer saß und seine Tiere sich auch neben ihn
gelegt hatten, deuchte ihm, als höre er eine menschliche
Stimme; er schaute umher, konnte aber nichts bemerken. Bald
darauf hörte er wieder ein Ächzen wie von oben her,
da blickte er in die Höhe und sah ein altes Weib auf dem
Baume sitzen, das jammerte in einem fort: »Hu, hu, hu,
was mich friert!« Sprach er: »Steig herab und wärme
dich, wenn dich friert.« Sie aber sagte: »Nein,
deine Tiere beißen mich.« Antwortete er: »Sie
tun dir nichts, Altes Mütterchen, komm nur herunter.«
Sie war aber eine Hexe und sprach: »Ich will eine Rute
von dem Baum herabwerfen, wenn du sie damit auf den Rücken
schlägst tun sie mir nichts.« Da warf sie ihm ein
Rütlein herab, und er schlug sie damit alsbald lagen sie
still und waren in Stein verwandelt. Und als die Hexe vor den
Tieren sicher war, sprang sie herunter und rührte auch
ihn mit einer Rute an und verwandelte ihn in Stein. Darauf lachte
sie und schleppte ihn und seine Tiere in einen Graben, wo schon
mehr solcher Steine lagen.
Als aber der junge König gar nicht wiederkam, ward die
Angst und Sorge der Königin immer größer. Nun
trug sich zu, daß gerade in dieser Zelt der andere Bruder,
der bei der Trennung gen Osten gewandert war, in das Königreich
kam. Er hatte einen Dienst gesucht und keinen gefunden, war
dann herum gezogen hin und her und hatte seine Tiere tanzen
lassen. Da fiel ihm ein, er wollte einmal nach dem Messer sehen,
das sie bei ihrer Trennung in einen Baumstamm gestoßen
hatten, um zu erfahren, wie es seinem Bruder ginge. Wie er dahin
kam, war seines Bruders Seite halb verrostet und halb war sie
noch blank. Da erschrak er und dachte: Meinen Bruder muß
ein großes Unglück zugestoßen sein, doch kann
ich ihn vielleicht noch retten, denn die Hälfte des Messers
ist noch blank. Er zog mit seinen Tieren gen Westen, und als
er an das Stadttor kam, trat ihm die Wache entgegen und fragte,
ob sie ihn seiner Gemahlin melden sollte, die junge Königin
wäre seit ein paar Tagen in großer Angst über
sein Ausbleiben und fürchtete, er wäre im Zauberwald
umgekommen. Die Wache nämlich glaubte nichts anders, als
er wäre der junge König selbst so ähnlich sah
er ihm, und hatte auch die wilden Tiere hinter sich laufen.
Da merkte er, daß von seinem Bruder die Rede war, und
dachte: Es ist das Bete, ich gebe mich für ihn aus, so
kann ich ihn wohl leichter erretten. Also ließ er sich
von der Wache ins Schloß begleiten und ward mit großer
Freude empfangen. Die junge Königin meinte nichts anders
als es wäre ihr Gemahl, und fragte ihn, warum er so lange
ausgeblieben wäre. Er antwortete: »Ich hatte mich
in einem Walde verirrt und konnte mich nicht eher wieder herausfinden.
Abends ward er in das königliche Bett gebracht, aber er
legte ein zweischneidiges Schwert zwischen sich und die junge
Königin. Sie wußte nicht, was das heißen sollte,
getraute sich aber nicht zu fragen.
Da blieb er ein paar Tage und erforschte derweil alles, wie
es mit dem Zauberwald beschaffen war, endlich sprach er: »Ich
muß noch einmal dort jagen.« Der König und
die junge Königin wollten es ihm ausreden, aber er bestand
darauf und zog mit großer Begleitung hinaus. Als er in
den Wald gekommen war, erging es ihm wie seinem Bruder, er sah
eine weiße Hirschkuh und sprach zu seinen Leuten: »Bleibt
hier und wartet bis ich wiederkomme, ich will das schöne
Wild jagen«, ritt in den Wald hinein, und seine Tiere
liefen ihm nach. Aber er konnte die Hirschkuh nicht einholen
und geriet so tief in den Wald, daß er darin übernachten
mußte. Und als er ein Feuer angemacht hatte, hörte
er über sich ächzen: »Hu, hu, hu, wie mich friert!«
Da schaute er hinauf, und es saß dieselbe Hexe oben im
Baum. Sprach er: »Wenn dich friert, so komm herab, altes
Mütterchen, und wärme dich.« Antwortete sie:
»Nein, deine Tiere beißen mich« Er aber sprach:
»Sie tun dir nichts« Da rief sie: »Ich will
dir eine Rute hinabwerfen, wenn du sie damit schlägst,
so tun sie mir nichts.« Wie der Jäger das hörte,
traute er der Alten nicht und sprach: »Meine Tiere schlag
ich nicht, komm du herunter, oder ich hol dich.« Da rief
sie: »Was willst du wohl? Du tust mir doch nichts«
Er aber antwortete: »Kommst du nicht, so schieß
ich dich herunter.« Sprach sie: »Schieß nur
zu, vor deinen Kugeln fürchte ich mich nicht.« Da
legte er an und schoß nach ihr, aber die Hexe war fest
gegen alle Bleikugeln, lachte, daß es gellte, und rief:
»Du sollst mich noch nicht treffen.« Der Jäger
wußte Bescheid, riß sich drei silberne Knöpfe
vom Rock und lud sie in die Büchse, denn dagegen war ihre
Kunst umsonst, und als er losdrückte, stürzte sie
gleich mit Geschrei herab. Da stellte er den Fuß auf sie
und sprach: »Alte Hexe, wenn du nicht gleich gestehst,
wo mein Bruder ist, so pack ich dich mit beiden Händen
und werfe dich ins Feuer!« Sie war in großer Angst
bat um Gnade und sagte: »Er liegt mit seinen Tieren versteinert
in einem Graben.« Da zwang er sie mit hinzugehen, drohte
ihr und sprach: »Alte Meerkatze, jetzt machst du meinen
Bruder und alle Geschöpfe, die hier liegen lebendig, oder
du kommst ins Feuer!« Sie nahm eine Rute und rührte
die Steine an, da wurde sein Bruder mit den Tieren wieder lebendig,
und viele andere, Kaufleute, Handwerker, Hirten, standen auf,
dankten für ihre Befreiung und zogen heim. Die Zwillingsbrüder
aber, als sie sich wiedersahen, küßten sich und freuten
sich von Herzen. Dann griffen sie die Hexe, banden sie und legten
sie ins Feuer, und als sie verbrannt war, da tat sich der Wald
von selbst auf und ward licht und hell, und man konnte das königliche
Schloß auf drei Stunden Wegs sehen.
Nun gingen die zwei Brüder zusammen nach Haus und erzählten
einander auf dem Weg ihre Schicksale. Und als der jüngste
sagte, er wäre an des Königs statt Herr im ganzen
Lande, sprach der andere: »Das hab ich wohl gemerkt, denn
als ich in die Stadt kam und für dich angesehen ward, da
geschah mir alle königliche Ehre. Die junge Königin
hielt mich für ihren Gemahl, und ich mußte an ihrer
Seite essen und in deinem Bett schlafen.« Wie das der
andere hörte, ward er so eifersüchtig und zornig,
daß er sein Schwert zog und seinem Bruder den Kopf abschlug.
Als dieser aber tot dalag und er das rote Blut fließen
sah, reute es ihn gewaltig. »Mein Bruder hat mich erlöst«,
rief er aus, »und ich habe ihn dafür getötet!«
und jammerte laut. Da kam sein Hase und erbot sich, von der
Lebenswurzel zu holen, sprang fort und brachte sie noch zu rechter
Zeit, und der Tote ward wieder ins Leben gebracht und merkte
gar nichts von der Wunde.
Darauf zogen sie weiter, und der jüngste sprach: »Du
siehst aus wie ich, hast königliche Kleider an wie ich,
und die Tiere folgen dir nach wie mir. Wir wollen zu den entgegengesetzten
Toren eingehen und von zwei Seiten zugleich beim alten König
anlangen.« Also trennten sie sich, und bei dem alten König
kam zu gleicher Zeit die Wache von dem einen und dem andern
Tore und meldete, der junge König mit den Tieren wäre
von der Jagd angelangt. Sprach der König: »Es ist
nicht möglich, die Tore liegen eine Stunde weit auseinander.«
Indem aber kamen von zwei Seiten die beiden Brüder in den
Schloßhof hinein und stiegen beide herauf. Da sprach der
König zu seiner Tochter: »Sag an, welcher ist dein
Gemahl? Es sieht einer aus wie der andere, ich kann's nicht
wissen.« Sie war da in großer Angst und konnte es
nicht sagen, endlich fiel ihr das Halsband ein, das sie den
Tieren gegeben hatte, suchte und fand an dem einen Löwen
ihr goldenes Schlößchen. Da rief sie vergnügt:
»Der, dem dieser Löwe nachfolgt, der ist mein rechter
Gemahl!« Da lachte der junge König und sagte: »Ja,
das ist der rechte«, und sie setzten sich zusammen zu
Tisch, aßen und tranken und waren fröhlich. Abends,
als der junge König zu Bett ging, sprach seine Frau: »Warum
hast du die vorigen Nächte immer ein zweischneidiges Schwert
in unser Bett gelegt? Ich habe geglaubt, du wolltest mich totschlagen.«
Da erkannte er, wie treu sein Bruder gewesen war.
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