Hans Christian Andersen
Die
wilden Schwäne
Weit von hier, dort, wo die Schwalben hinfliegen,
wenn wir Winter haben, wohnte ein König der elf Söhne
und eine Tochter Elisa hatte. Die elf Brüder waren Prinzen
und gingen mit dem Stern auf der Brust und dem Säbel an
der Seite in die Schule. Sie schrieben mit Diamantgriffeln auf
Goldtafeln und lernten ebenso gut auswendig, wie sie lasen;
man konnte gleich hören, daß sie Prinzen waren. Die
Schwester Elisa saß auf einem kleinen Schemel von Spiegelglas
und hatte ein Bilderbuch, welches für das halbe Königreich
erkauft war. Oh, die Kinder hatten es so gut; aber so sollte
es nicht immer bleiben!
Ihr Vater, welcher König über das ganze Land war,
verheiratete sich mit einer bösen Königin, die den
armen Kindern gar nicht gut war. Schon am ersten Tag konnten
sie es merken. Auf dem ganzen Schloß war große Pracht,
und da spielten die Kinder "Es kommt Besuch", aber
statt daß sie, wie sonst, allen Kuchen und alle gebratenen
Äpfel erhielten, die nur zu haben waren, gab sie ihnen
bloß Sand in einer Teetasse und sagte, sie möchten
tun, als ob etwas darin sei.
Die Woche darauf brachte sie die kleine Schwester Elisa auf
das Land zu einem Bauernpaar, und lange währte es nicht,
da redete sie dem König so viel von den armen Prinzen vor,
daß er sich gar nicht mehr um sie kümmerte.
"Fliegt hinaus in die Welt und ernährt euch selbst!"
sagte die böse Königin. "Fliegt wie die großen
Vögel ohne Stimme!" Aber sie konnte es doch nicht
so schlimm machen, wie sie gern wollte; sie wurden elf herrliche
wilde Schwäne. Mit einem sonderbaren Schrei flogen sie
aus den Schloßfenstern hinaus über den Park und den
Wald dahin.
Es war noch ganz früh am Morgen, als sie da vorbeikamen,
wo die Schwester Elisa in der Stube des Landmannes lag und schlief.
Hier schwebten sie über dem Dach, drehten ihre langen Hälse
und schlugen dann mit den Flügeln, aber niemand hörte
oder sah es. Sie mußten wieder weiter, hoch gegen die
Wolken empor, hinaus in die weiter Welt. Da flogen sie hin zu
einem großen dunklen Wald, der sich bis an den Strand
erstreckte.
Die arme, kleine Elisa stand in der Stube des Landmannes und
spielte mit einem grünen Blatt; anderes Spielzeug hatte
sie nicht. Und sie stach ein Loch in das Blatt, sah hindurch
und gegen die Sonne empor, und da war es, als sähe sie
ihrer Brüder klare Augen. Jedesmal, wenn die warmen Sonnenstrahlen
auf ihre Wangen schienen, gedachte sie aller ihrer Küsse.
Ein Tag verging ebenso wie der andere. Strich der Wind durch
die großen Rosenhecken draußen vor dem Haus, so
flüsterte er den Rosen zu: "Wer kann schönen
sein als Ihr?" Aber die Rosen schüttelten das Haupt
und sangen: "Elisa ist es!" Und saß die alte
Frau am Sonntag vor der Tür und las in ihrem Gesangbuch
so wendete der Wind die Blätter um und sagte zum Buch:
"Wer kann frömmer sein als du?" - "Elisa
ist es!" sagte das Gesangbuch. Und es war die reine Wahrheit,
was die Rosen und das Gesangbuch sagten.
Als sie fünfzehn Jahre alt war, sollte sie nach Hause.
Und als die Königin sah, wie schön sie war, wurde
sie ihr gram und voll Haß. Gern hätte sie sie in
einen wilden Schwan verwandelt wie die Brüder, aber das
wagte sie nicht gleich, weil ja der König seine Tochter
sehen wollte.
Frühmorgens ging die Königin in das Bad, welches
von Marmor erbaut und mit weichen Kissen und den prächtigsten
Decken geschmückt war. Und sie nahm drei Kröten, küßte
sie und sagte zu der einen: "Setze dich auf Elisas Kopf,
wenn sie in das Bad kommt, damit sie dumm wird wie du!"
"Setze dich auf ihre Stirn, damit sie häßlich
wird wie du, so daß ihr Vater sie nicht kennt!" "Ruhe
an ihrem Herzen", flüsterte sie der dritten zu; "laß
sie einen bösen Sinn erhalten, damit sie Schmerzen davon
hat!" Dann setzte sie die Kröten in das klare Wasser,
welches sogleich eine grüne Farbe erhielt, rief Elisa,
zog sie aus und ließ sie in das Wasser hinabsteigen. Und
indem Elisa untertauchte, setzte sich die eine Kröte ihr
in das Haar, die andere auf ihre Stirn und die dritte auf die
Brust. Aber sie schien es gar nicht zu merken. Sobald sie sich
emporrichtete, schwammen drei rote Mohnblumen auf dem Wasser.
Wären die Tiere nicht giftig gewesen und von der Hexe geküßt
worden, so wären sie in rote Rosen verwandelt. Aber Blumen
wurden sie doch, weil sie auf ihrem Haupt und an ihrem Herzen
geruht hatten. Sie war zu fromm und unschuldig, als daß
die Zauberei Macht über sie haben konnte!
Als die böse Königin das sah, rieb sie Elisa mit
Walnußsaft ein, so daß sie ganz schwarzbraun wurde,
bestrich ihr das hübsche Antlitz mit einer stinkenden Salbe
und ließ das herrliche Haar sich verwirren. Es war unmöglich,
die schöne Elisa wiederzuerkennen.
Als sie der Vater sah, erschrak er sehr und sagte, es sei nicht
seine Tochter. Niemand, außer dem Kettenhund und den Schwalben,
wollte sie erkennen; aber das waren arme Tiere, die nichts zu
sagen hatten.
Da weinte die arme Elisa und dachte an ihre elf Brüder,
die alle weg waren. Betrübt stahl sie sich aus dem Schloß
und ging den ganzen Tag über Feld und Moor bis in den großen
Wald hinein. Sie wußte gar nicht, wohin sie wollte, aber
die fühlte sich so betrübt und sehnte sich nach ihren
Brüdern. Die waren sicher auch, gleich ihr, in die Welt
hinausgejagt, die wollte sie suchen und finden. Nur kurze Zeit
war sie im Wald gewesen, da brach die Nacht an. Sie kam ganz
vom Weg und Steg ab, darum legte sie sich auf das weiche Moos
nieder, betete ihr Abendgebet und lehnte ihr Haupt an einen
Baumstumpf. Es war da so still, die Luft so mild, und ringsumher
im Gras und im Moos leuchteten, einem grünen Feuer gleich,
Hunderte von Johanneswürmchen. Als sie einen der Zweige
leise mit der Hand berührte, fielen die leuchtenden Käfer
wie Sternschnuppen zu ihr nieder.
Die ganze Nacht träumte sie von ihren Brüdern. Sie
spielten wieder als Kinder, schrieben mit dem Diamantgriffel
auf die Goldtafel und betrachteten das herrliche Bilderbuch,
welches das halbe Reich gekostet hatte. Aber auf die Tafel schrieben
sie nicht, wie früher, Nullen und Striche, sondern die
mutigen Taten, die sie vollführt, alles, was sie erlebt
und gesehen hatten. Und im Bilderbuch war alles lebendig, die
Vögel sangen, und die Menschen gingen aus dem Buch heraus
und sprachen mit Elisa und ihren Brüdern. Aber wenn diese
das Blatt umwendeten, sprangen sie gleich wieder zurück,
damit keine Unordnung hineinkomme.
Als sie erwachte, stand die Sonne schon hoch. Sie konnte sie
freilich nicht sehen, die hohen Bäume breiteten ihre Zweige
dicht und fest über sie aus. Aber die Strahlen spielten
dort oben gerade wie ein wehender Goldflor. Da war ein Duft
von Grünem, und die Vögel setzten sich fast auf ihre
Schultern. Sie hörte Wasser plätschern. Das waren
viele große Quellen, die alle in einen See ausliefen,
in dem der herrlichste Sandhoden war. Freilich wuchsen dort
dichte Büsche ringsumher, aber an einer Stelle hatten die
Hirsche eine große Lichtung gemacht, und hier ging Elisa
zum Wasser hin. Dies war so klar, daß man, wenn der Wind
nicht die Zweige und Büsche berührte, so daß
sie sich bewegten, hätte glauben können, sie seine
auf dem Boden abgemalt, so deutlich spiegelte sich dort jedes
Blatt, sowohl das, welches von der Sonne beschienen, als das,
welches im Schatten war.
Sobald Elisa ihr eigenes Gesicht erblickte, erschrak sie, so
braun und häßlich war es. Doch als sie ihre kleine
Hand benetzte und Augen und Stirne rieb, glänzte die weiße
Haut wieder vor. Da entkleidete sie sich und ging in das frische
Wasser hinein. Ein schöneres Königskind, als sie war,
wurde in dieser Welt nicht gefunden.
Als sie sich wieder angekleidet und ihr langes Haar geflochten
hatte, ging sie zur sprudelnden Quelle, trank aus der hohlen
Hand und wanderte tief in den Wald hinein, ohne selbst zu wissen,
wohin. Sie dachte an ihre Brüder, dachte an den lieben
Gott, der sie sicher nicht verlassen würde. Gott ließ
die wilden Waldäpfel wachsen, um die Hungrigen zu sättigen.
Er zeigte ihr einen solchen Raum, die Zweige bogen sich unter
der Last der Früchte. Hier hielt sie ihre Mittagsmahlzeit,
setzte Stützen unter die Zweige und ging dann in den dunkelsten
Teil des Waldes hinein.
Da war es so still, daß sie ihre eigenen Fußtritte
hörte sowie jedes kleinste vertrocknete Blatt, welches
sich unter ihrem Fuße bog. Nicht ein Vogel war da zu sehen,
nicht ein Sonnenstrahl konnte durch die großen, dunklen
Baumzweige dringen. Die hohen Stämme standen so nahe beisammen,
daß es, wenn sie vor sich in sah, ganz so schien, als
ob ein Balkengitter dicht beim andern sie umschlösse. Oh,
hier war eine Einsamkeit, wie sie solche früher nie gekannt!
Die Nacht wurde ganz dunkel. Nicht ein einziger kleiner Johanniswurm
leuchtete aus dem Moos. Betrübt legte sie sich nieder,
um zu schlafen. Da schien es ihr, als ob die Baumzweige über
ihr sich zur Seite bewegten und der liebe Gott mit milden Augen
auf sie niederblickte, und kleine Engel sahen über seinem
Kopf und unter seinen Armen hervor.
Als sie am Morgen erwachte, wußte sie nicht, ob sie es
geträumt hatte oder ob es wirklich so gewesen. Sie ging
einige Schritte vorwärts, da begegneten sie einer alten
Frau mit Beeren in ihrem Korb. Die Alte gab ihr einige davon.
Elisa frage, ob sie nicht elf Prinzen durch den Wald habe reiten
sehen.
"Nein!" sagte die Alte; "aber ich sah gestern
elf Schwäne mit Goldkronen auf dem Haupt den Fluß
hier nahebei hinabschwimmen!"
Und sie führte Elisa ein Stück weiter vor zu einem
Abhang. Am Fuße desselben schlängelte sich ein Flüßchen.
Die Bäume an seinen Ufern streckten ihre langen, blattreichen
Zweige einander entgegen, und wo sie ihrem natürlichen
Wuchse nach, nicht zusammenreichen konnten, da waren die Wurzel
aus der Erde losgerissen und hingen, mit den Zweigen ineinander
geflochten, über das Wasser hinaus.
Elisa sagte der Alten Lebewohl und ging das Flüßchen
entlang, bis wo dieses ins große, offene Meer hinausfloß.
Das ganze herrliche Meer lag vor dem jungen Mädchen, aber
nicht ein Segel zeigte sich darauf, nicht ein Boot war da zu
sehen. Wie sollte sie nun dort weiter fort kommen? Sie betrachtete
die unzähligen kleinen Steine am Ufer, das Wasser hatte
sie alle rund geschliffen. Glas, Eisen, Seine, alles, was da
zusammengespült lag, hatte seine Form durch das Wasser
bekommen, welches doch viel weicher war als ihre feine Hand.
"Das rollt unermüdlich fort, und so ebnet sich das
Harte. Ich will ebenso unermüdlich sein. Dank für
eure Lehre, ihr klaren, rollenden Wogen; einst, das sagte mir
mein Herz, werdet ihr mich zu meinen lieben Brüdern tragen!"
Auf dem angespülten Seegras lagen elf weiße Schwanenfedern!
Sie sammelte sie zu einem Strauß. Es lagen Wassertropfen
darauf - ob es Tau oder Tränen waren, konnte man nicht
sehen. Einsam war es dort am Strand, aber sie fühlte es
nicht, denn das Meer bot eine dauernde Abwechslung, ja mehr
in nur wenigen Stunden, als die Landseen in einem ganzen Jahr
aufweisen können. Kam eine große, schwarze Wolke,
so war das, als ob die See sagen wollte: "Ich kann auch
finster aussehen." Und dann blies der Wind, und die Wogen
kehrten das Weiße nach außen. Schienen aber die
Wolken rot und schliefen die Winde, so war das Meer einem Rosenblatt
gleich; bald wurde es grün, bald weiß. Aber wie still
es auch ruhte, am Ufer war doch eine leise Bewegung, das Wasser
hob sich schwach wie die Brust eines schlafenden Kindes.
Als die Sonne unterzugehen im Begriff war, sah Elisa elf wilde
Schwäne mit Goldkronen auf dem Kopf dem Lande zufliegen.
Sie schwebten einer hinter dem anderen, es sah aus wie ein langes,
weißes Band. Da stieg Elisa den Abhang hinauf und verbarg
sich hinter einem Busch. Die Schwäne ließen sich
nahe bei ihr nieder und schlugen mit ihren großen, weißen
Schwingen.
Sobald die Sonne hinter dem Wasser war, fielen plötzlich
die Schwanengefieder, und elf schöne Prinzen, ihre Brüder,
standen da. Sie stieß einen lauten Schrei aus; obwohl
sie sich sehr verändert hatte, wußte sie doch, daß
sie es waren, fühlte sie, daß sie es sein müßten.
Und sie sprang in ihre Arme und nannte sie bei Namen. Und die
Prinzen fühlten sich so glücklich, als sie ihre kleine
Schwester sahen, und erkannten sie, die nun groß und schön
war. Sie lachten und weinten, und bald hatten sie verstanden,
wie böse ihre Stiefmutter gegen sie alle gewesen war.
"Wir Brüder", sagte der älteste, "fliegen
als wilde Schwäne, solange die Sonne am Himmel steht; sobald
sie untergegangen ist, erhalten wir unsere menschliche Gestalt
wieder. Deshalb müssen wir immer aufpassen, beim Sonnenuntergang
eine Ruhestätte für die Füße zu haben,
denn fliegen wir um diese Zeit gegen die Wolken empor, so müssen
wir als Menschen in die Tiefe hinunterstürzen. Hier wohnen
wir nicht; es liegt ein ebenso schönes Land wie dieses
jenseits der See. Aber der Weg dahin ist weit. Wir müssen
über das große Meer, und es findet sich keine Insel
auf unserm Wege, wo wir übernachten könnten; nur eine
einsame, kleine Klippe ragt in der Mitte hervor, sie ist nicht
größer, als daß wir dicht nebeneinander darauf
ruhen können. Ist die See stark bewegt, so spritzt das
Wasser hoch über uns; aber doch danken wir Gott für
sie. Da übernachten wir in unserer Menschengestalt; ohne
diese könnten wir nie unser liebes Vaterland besuchen,
denn zwei der längsten Tage des Jahres brauchen wir für
unseren Flug. Nur einmal im Jahr ist es uns vergönnt, unsere
Heimat zu besuchen. Elf Tage dürfen wir hier bleiben und
über den großen Wald hinfliegen, von wo wir das Schloß,
in dem wir geboren wurden und wo unser Vater wohnt, erblicken
und den hohen Kirchturm sehen können, wo die Mutter begraben
ist. Hier kommt es uns vor, als seien Bäume und Büsche
mit uns verwandt; hier laufen die wilden Pferde über die
Steppen hin, wie wir es in unserer Kindheit gesehen; hier singt
der Kohlenbrenner die alten Lieder, nach denen wir als Kinder
tanzten; hier ist unser Vaterland; hierher fühlen wir uns
gezogen, und hier haben wir dich, du liebe, kleine Schwester,
gefunden! Zwei Tage können wir noch hier bleiben, dann
müssen wir fort über das Meer, nach einem herrlichen
Land, welches aber nicht unser Vaterland ist! Wie bringen wir
dich fort? Wir haben weder Schiff noch Boot!"
"Auf welche Art kann ich euch erlösen?" fragte
die Schwester. Und sie unterhielten sich fast die ganze Nacht,
es wurde nur einige Stunden geschlummert.
Elisa erwachte von dem Rauschen der Schwanenflügel, welche
über ihr sausten, die Brüder waren wieder verwandelt.
Und sie flogen in großen Kreisen und zuletzt weit weg,
aber der eine von ihnen, der jüngste, blieb zurück.
Und der Schwan legte den Kopf in ihren Schoß, und sie
streichelte seine Flügel, den ganzen Tag waren sie beisammen.
Gegen Abend kamen die andern zurück, und als die Sonne
untergegangen war, standen sie in natürlicher Gestalt da.
"Morgen fliegen wir von hier weg und können vor Ablauf
eines ganzen Jahres nicht zurückkehren. Aber dich können
wir nicht so verlassen! Hast du Mut, mitzukommen? Mein Arm ist
stark genug, dich durch den Wald zu tragen. Sollten wir da nicht
alle so starke Flügel haben, um mit dir über das Meer
zu fliegen?" - - "Ja, nehmt mich mit!" sagte
Elisa.
Die ganze Nacht brachten sie damit zu, aus der geschmeidigen
Weidenrinde und dem zähen Schild ein Netz zu flechten,
und das wurde groß und fest. Auf dieses Netz legte sich
Elisa, und als die Sonne hervortrat und die Brüder in wilde
Schwäne verwandelt wurden, ergriffen sie das Netz mit ihren
Schnäbeln und flogen mit ihrer lieben Schwester, die noch
schlief, hoch gegen die Wolken empor. Die Sonnenstrahlen fielen
ihr gerade auf das Antlitz, deshalb flog einer der Schwäne
über ihrem Kopf, damit seine breiten Schwingen sie beschatten
konnten.
Sie waren weit vom Land entfernt, als Elisa erwachte. Sie glaubte
noch zu träumen, so sonderbar kam es ihr vor, hoch durch
die Luft über das Meer getragen zu werden. An ihrer Seite
lag ein Zweig mit herrlichen reifen Beeren und ein Bündel
wohnschmeckender Wurzeln, die hatte der jüngste der Brüder
gesammelt und ihr hingelegt. Sie lächelte ihn dankbar an,
denn sie erkannte ihn, er war es, der über ihr folg und
sie mit den Schwingen beschattete.
Sie waren so hoch, daß das größte Schiff,
welches sie unter sich erblickten, eine weiße Möwe
zu sein schien, die auf dem Wasser lag. Eine große Wolke
stand hinter ihnen, das war ein ganzer Berg. Und auf diesem
sah Elisa ihren eigenen Schatten und den der elf Schwäne,
so riesengroß flogen sie dahin. Das war ein Gemälde,
prächtiger, als sie früher je eins gesehen. Doch als
die Sonne höher stieg und die Wolke weiter zurückblieb,
verschwand das schwebende Schattenbild. Den ganzen Tag flogen
sie fort, gleich einem sausenden Pfeil durch die Luft; aber
es ging doch langsamer als sonst, denn jetzt hatten sie die
Schwester zu tragen. Es zog ein böses Wetter auf, der Abend
brach herein. Ängstlich sah Elisa die Sonne sinken, und
noch war die einsame Klippe im Meere nicht zu erblicken. Es
kam ihr vor, als machten die Schwäne stärkere Schläge
mit den Flügeln. Ach, sie war Schuld daran, daß sie
nicht rasch genug fortkamen. Wenn die Sonne untergegangen war,
so mußten sie Menschen werden, in das Meer stürzen
und ertrinken. Da betete sie aus dem Innersten des Herzens ein
Gebet zum lieben Gott; aber noch erblickte sie keine Klippe.
Die schwarze Wolke kam näher, die starken Windstöße
verkündeten einen Sturm. Die Wolken standen in einer einzigen,
großen, drohenden Welle da, welche fast wie Blei vorwärts
schoß, Blitz leuchtete auf Blitz.
Jetzt war die Sonne gerade am Rande des Meeres. Elisas Herz
bebte. Da schossen die Schwäne hinab, so schnell, daß
sie zu fallen glaubte. Aber nun schwebten sie wieder. Die Sonne
war halb unter dem Wasser, da erblickte sie erst die kleine
Klippe unter sich. Sie sah nicht größer aus, als
ob es ein Seehund sei, der den Kopf aus de Wasser streckte.
Die Sonne sank so schnell, jetzt erschien sie nur noch wie ein
Stern. Da berührte ihr Fuß den festen Grund! Die
Sonne erlosch gleich dem letzten Funken im brennenden Papier.
Arm in Arm sah sie die Brüder um sich stehen; aber mehr
Platz, als gerade für diese und sie war auch nicht da.
Die See schlug gegen die Klippe und ging wie Staubregen über
sie hin. Der Himmel leuchtete in einem fortwährenden Feuer,
und Schlag auf Schlag rollte der Donner. Aber Schwester und
Brüder faßten sich an den Händen und sangen
Psalmen, aus denen sie Trost und Mut schöpften.
In der Morgendämmerung war die Luft rein und still, Sobald
die Sonne emporstieg, flogen die Schwäne mit Elisa von
der Insel fort. Das Meer ging noch hoch; es sah aus, wie sie
hoch in der Luft waren, als ob der weiße Schaum auf der
schwarzgrünen See Millionen Schwäne seien, die auf
dem Wasser schwammen.
Als die Sonne höher stieg, sah Elisa vor sich, halb in
der Luft schwimmend, ein Bergland mit glänzenden Eismassen
auf den Felsen. Und mitten darauf erhob sich ein meilenlanges
Schloß mir einem kühnen Säulengang über
dem andern; unten wogten Palmenwälder und Prachtblumen,
so groß wie Mühlräder. Sie fragte, ob das das
Land sei, wo sie hin wollten; aber die Schwäne schüttelten
mit dem Kopf, denn das, was sie sah, war der Fata Morgana herrliches,
allzeit wechselndes Wolkenschloß, in das durften sie keinen
Menschen hineinbringen. Elisa starrte es an, da stützten
Berge, Wälder und Schloß zusammen, und zwanzig stolze
Kirchen, alle einander gleich, mit hohen Türmen und spitzen
Fenstern standen vor ihnen. Sie glaubte die Orgeln ertönen
zu hören, aber es war das Meer, welches sie hörte.
Nun war sie den Kirchen ganz nahe, da wurden sie zu einer ganzen
Flotte, die unter ihr dahinsegelte; doch als sie hinunterblickte,
waren es nur Meernebel, die über dem Wasser hinglitten.
So hatte sie eine ewige Abwechslung vor den Augen, und dann
sah sie das wirkliche Land, zu dem hin sie wollten. Dort erhoben
sich die herrlichsten blauen Berge mit Zedernwäldern, Städten
und Schlössern. Lange bevor die Sonne unterging, saß
sie auf dem Felsen vor einer großen Höhle, die mit
feinen grünen Schlingpflanzen bewachsen war, es sah aus,
als seien es gestickte Teppiche.
"Nun wollen wir sehen, was du diese Nacht hier träumst",
sagte der jüngste Bruder und zeigte ihr die Schlafkammer.
"Gebe der Himmel, daß ich träumen möge,
wie ich euch erretten kann!" sagte sie. Und dieser Gedanke
beschäftigte sie lebhaft. Sie betete recht inbrünstig
zu Gott um seine Hilfe, ja, selbst im Schlafe fuhr sie fort
zu beten. Da kam es ihr vor, als ob sie hoch in die Luft fliege,
zu der Fata Morgana Wolkenschloß. Und die Fee kam ihr
entgegen, so schön und glänzend; und doch glich sie
ganz der alten Frau, die ihr Beeren im Walde gegeben und ihr
von den Schwänen mit Goldkronen auf dem Kopfe erzählt
hatte.
"Deine Brüder können erlöst werden!"
sagte sie; "Aber hast du Mut und Ausdauer? Wohl ist das
Wasser weicher als deine feinen Hände, und doch formt es
die Steine um; aber es fühlt nicht die Schmerzen, die deine
Finger fühlen werden. es hat kein Herz, leidet nicht die
Angst und Qual, die du aushalten mußt. Siehst du die Brennessel,
die ich in meiner Hand halte? Von derselben Art wachsen viele
rings um die Höhle, wo du schläfst; nur die dort und
die, welche auf des Kirchhofs Gräbern wachsen, sind tauglich,
merke dir das. Die mußt du pflücken, obgleich sie
deine Hand voll Blasen brennen werden. Brich die Nesseln mit
deinen Füßen, so erhältst du einen Flachs; aus
diesem mußt du elf Panzerhemden mit langen Ärmeln
flechten und binden. Wirf diese über die elf Schwäne,
so ist der Zauber gelöst. Aber bedenke wohl, daß
du von dem Augenblick, wo du diese Arbeit beginnst, bis zu dem,
wo sie vollendet ist, wenn auch Jahre darüber vergehen,
nicht sprechen darfst. Das erste Wort, welches du sprichst,
geht als tötender Dolch in deiner Brüder Herz! An
deiner Zunge hängt ihr Leben. Merke dir das alles."
Und sie berührte zugleich ihre Hand mit der Nessel. Es
war einem brennenden Feuer gleich; Elisa erwachte dadurch. Es
war heller Tag, und dicht daneben, wo sie geschlafen hatte,
lagt eine Nessel wie die, welche sie im Traum gesehen. Da fiel
sie auf ihre Knie, dankte dem lieben Gott und ging aus der Höhle
hinaus, um ihre Arbeit zu beginnen.
Mit den feinen Händen griff sie hinunter in die häßlichen
Nesseln, diese waren wie Feuer. Große Blasen brannten
sie an ihren Händen und Armen; aber gern wollte sie es
leiden, konnte sie nur die lieben Brüder befreien. Sie
brach jede Nessel mit ihren bloßen Füßen und
flocht den grünen Flachs.
Als die Sonne untergegangen war, kamen die Brüder, und
sie erschraken, sie so stumm zu finden. Sie glaubten, es sei
ein neuer Zauber der bösen Stiefmutter. Aber als sie ihre
Hände erblickten, begriffen sie, was sie ihrethalben tat.
Und der jüngste Bruder weinte, und wohin seine Tränen
fielen, da fühlte sie keine Schmerzen, da verschwanden
die brennenden Blasen.
Die Nacht brachte sie bei ihrer Arbeit zu, denn sie hatte keine
Ruhe, bevor sie die lieben Brüder erlöst hätte.
Den ganzen folgenden Tag, während die Schwäne fort
waren, saß sie in ihrer Einsamkeit; aber noch nie war
die Zeit ihr so schnell entflohen. Ein Panzerhemd war schon
fertig, nun fing sie das zweite an.
Da ertönte ein Jagdhorn zwischen den Bergen; sie wurde
von Furcht ergriffen. Der Ton kam immer näher, sie hörte
Hunde bellen; erschrocken floh sie in die Höhle, band die
Nesseln, die sie gesammelt und gehechelt hatte, in ein Bund
zusammen und setzte sich drauf.
Sogleich kam ein großer Hund aus der Schlucht hervorgesprungen,
und gleich darauf wieder einer und noch einer; sie bellten laut,
liefen zurück und kamen wieder vor. Es währte nur
wenige Minuten, so standen alle Jäger vor der Höhle,
und der schönste unter ihnen war der König des Landes.
Er trat auf Elisa zu, nie hatte er ein schöneres Mädchen
gesehen.
"Wie bist du hierher gekommen, du herrliches Kind?"
frage er. Elisa schüttelte den Kopf, sie durfte ja nicht
sprechen; es galt ihrer Brüder Erlösung und Leben.
Und sie verbarg ihre Hände unter der Schürze, damit
der König nicht sehen solle, was sie leiden mußte.
"Kommt mit mir!" sagte er, "hier darfst du nicht
bleiben. Bist du so gut, wie du schön bist, so will ich
dich in Seide und Samt kleiden, die Goldkrone dir auf das Haupt
setzen, und du sollst in meinem reichsten Schloß wohnen
und hausen!" Und dann hob er sie auf sein Pferd. Sie weinte
und rang die Hände, aber der König sagte: "Ich
will nur dein Glück! Einst wirst du mir dafür danken".
Und dann jagte er fort durch die Berge und hielt sie vorn auf
dem Pferd, und die Jäger jagten hinterher.
Als die Sonne unterging, lag die schöne Königsstadt
mit Kirchen und Kuppeln vor ihnen. Und der König führte
sie in das Schloß, wo große Springbrunnen in den
hohen Marmorsälen plätscherten, wo Wände und
Decken mit Gemälden prangten. Aber sie hatte keine Augen
dafür, sie weinte und trauerte. Willig ließ sie sich
von den Frauen königliche Kleider anlegen, Perlen in ihre
Haar flechten und feine Handschuhe über die verbrannten
Finger ziehen. Als sie in ihrer Pracht dastand, war sie so blendend
schön, daß der Hof sich noch tiefer verneigte. Und
der König erkor sie zu seiner Braut, obgleich der Erzbischof
den Kopf schüttelte und flüsterte, daß das schöne
Waldmädchen ganz sicher eine Hexe sein, sie blende die
Augen und betöre das Herz des Königs.
Aber der König hörte nicht darauf, ließ die
Musik ertönen, die köstlichsten Gerichte auftragen
und die lieblichsten Mädchen um sie tanzen. Und sie wurde
durch duftende Gärten in prächtige Säle hineingeführt,
aber nicht ein Lächeln kam auf ihre Lippen oder sprach
aus ihren Augen. Wie ein Bild der Trauer stand sie da. Dann
öffnete der König eine kleine Kammer dicht daneben,
wo sie schlafen sollte; die war mit köstlichen grünen
Teppichen geschmückt und glich ganz der Höhle, in
der sie gewesen war. Auf dem Fußboden lag das Bund Flachs,
welches sie aus den Nesseln gesponnen hatte, und unter der Decke
hing das Panzerhemd, welches fertig gestrickt war. Alles dieses
hatte ein Jäger als Kuriosität mitgenommen.
"Hier kannst du dich in deine frühere Heimat zurückträumen!"
sagte der König. "Hier ist die Arbeit, die dich dort
beschäftigte. Jetzt, mitten in all deiner Pracht, wird
es dich erfreuen, an jene Zeit zurückzudenken."
Als Elisa das sah, was ihrem Herzen so nahe lag, spielte ein
Lächeln um ihren Mund, und das Blut kehrte in ihre Wangen
zurück. Sie dachte an die Erlösung ihrer Brüder,
küßte des Königs Hand; und er drückte sie
an sein Herz und ließ durch alle Kirchenglocken das Hochzeitsfest
verkünden. Das schöne, stumme Mädchen aus dem
Walde ward des Landes Königin.
Da flüsterte der Erzbischof böse Worte in des Königs
Ohren, aber sie drangen nicht bis zu seinem Herzen. Die Hochzeit
sollte stattfinden; der Erzbischof selbst mußte ihr die
Krone auf das Haupt setzen, und er drückte mit bösem
Sinn den engen Ring fest auf ihre Stirn nieder, so daß
es schmerzte. Doch ein schwererer Ring lag um ihr Herz, die
Trauer um ihre Brüder. Sie fühlte nicht die körperlichen
Leiden. Ihr Mund war stumm, ein einziges Wort würde ja
ihren Brüdern das Leben kosten. Aber in ihren Augen sprach
sich innige Liebe zu dem guten, schönen König aus,
der alles tat, um sie zu erfreuen. Von ganzem Herzen gewann
sie ihn von Tag zu Tag lieber; oh, daß sie nur sich ihm
vertrauen und ihre Leiden klagen dürfte! Doch stumm mußte
sie sein, stumm mußte sie ihr Werk vollbringen. Deshalb
schlich sie sich des Nachts von seiner Seite, ging in die kleine
Kammer, welche wie die Höhle geschmückt war,
und strickte ein Panzerhemd nach dem andern fertig. Aber als
sie das siebente begann, hatte sie keinen Flachs mehr.
Auf dem Kirchhof, das wußte sie, wuchsen Nesseln, die
sie brauchen konnte; aber die mußte sie selber pflücken.
Wie sollte sie da hinaus gelangen!
"Oh, was ist der Schmerz in meinen Fingern gegen die Qual,
die mein Herz erduldet!" dachte sie. "Ich muß
es wagen! Der Herr wird seine Hand nicht von mir nehmen!"
Mit einer Herzensangst, als sei es eine böse Tat, die sie
vorhabe, schlich sie sich in der mondhellen Nacht in den Garten
hinunter und ging durch die Alleen und durch die einsamen Straßen
zum Kirchhof hinaus. Da sah sie auf einem der breitesten Grabsteine
einen Kreis Lamien sitzen. Diese häßlichen Hexen
nahmen ihre Lumpen ab, als ob sie sich baden wollten, und dann
gruben sie mit den langen, mageren Fingern die frischen Gräber
auf, holten Leichen heraus und aßen ihr Fleisch. Elisa
mußte nahe an ihnen vorbei, und sie hefteten ihre bösen
Blicke auf sie; aber sie betete still, sammelte die brennenden
Nesseln und trug sie zu dem Schlosse heim.
Nur ein einziger Mensch hatte sie gesehen: der Erzbischof.
Er war munter, wenn die andern schliefen. Nun hatte er doch
recht mit seiner Meinung, daß es mit der Königin
nicht sei, wie es sein sollte; sie sei eine Hexe, deshalb habe
sie den König und das ganze Volk betört.
Im Beichtstuhl sagte er dem König, was er gesehen hatte
und was er fürchtete. Und als die harten Worte seiner Zunge
entströmten, schüttelten die Heiligenbilder die Köpfe,
als wenn sie sagten wollten: "Es ist nicht so! Elisa ist
unschuldig!" Aber der Erzbischof legte es anders aus, er
meinte, daß sie gegen sie zeugten, daß sie über
ihre Sünden die Köpfe schüttelten. Da rollten
zwei schwere Tränen über des Königs Wangen herab.
Er ging nach Hause mit Zweifel in seinem Herzen und stellte
sich, als ob er in der Nacht schlafe. Aber es kam kein ruhiger
Schlaf in seine Augen, er merkte, wie Elisa aufstand. Jede Nacht
wiederholte sie dieses, und jedesmal folgte er ihr sacht nach
und sah, wie sie in ihrer Kammer verschwand.
Tag für Tag wurde seine Miene finsterer; Elisa sah es,
begriff aber nicht, weshalb. Allein es ängstigte sie, und
was litt sie nicht im Herzen für die Brüder. Auf den
königlichen Staat und Purpur flossen ihre heißen
Tränen; die lagen da wie schimmernde Diamanten, und alle,
welche die reiche Pracht sahen, wünschten Königin
zu sein. Inzwischen war sie bald mit ihrer Arbeit fertig, nur
ein Panzerhemd fehlte noch. Aber Flachs hatte sie auch nicht
mehr, nicht eine einzige Nessel. Einmal, nur dieses letzte Mal
mußte sie deshalb zum Kirchhof und einige Handvoll pflücken.
Sie dachte mit Angst an diese einsame Wanderung und an die schrecklichen
Lamien; aber ihr Wille stand fest sowie ihr Vertrauen auf den
Herrn.
Elisa ging, aber der König und der Erzbischof folgten
ihr. Sie sahen sie bei der Gitterpforte zum Kirchhof hinein
verschwinden, und als sie sich näherten, saßen die
Lamien auf dem Grabstein, wie Elisa sie gesehen hatte. Und der
König wendete sich ab, denn unter ihnen dachte er sich
die, deren Haupt noch diesen Abend an seiner Brust geruht hatte.
"Das Volk muß sie verurteilen!" sagte er. Und
das Volk verurteilte sie, in den roten Flammen verbrannt zu
werden.
Aus den prächtigen Königssälen wurde sie in
ein dunkles, feuchtes Loch geführt, wo der Wind durch das
Gitter hineinpfiff. Statt Samt und Seide gab man ihr das Bund
Nesseln, welches sie gesammelt hatte, darauf konnte sie ihr
Haupt legen. Die harten, brennenden Panzerhemden, die sie gestrickt
hatte, sollten ihre Decken sein. Aber nichts Lieberes hätte
man ihr geben können; sie nahm wieder ihre Arbeit vor und
betete zu ihrem Gott. Draußen sangen die Straßenbuben
Spottlieder auf sie; keine Seele tröstete sie mit einem
freundlichen Wort.
Da schwirrte gegen Abend dicht am Gitter ein Schwanenflügel.
Das war der jüngste der Brüder. Er hatte die Schwester
gefunden, und sie schluchzte laut vor Freude, obgleich sie wußte,
daß die kommende Nacht wahrscheinlich die letzte sein
würde, die sie zu leben hatte. Aber nun war ja auch die
Arbeit fast beendigt, und ihre Brüder waren hier.
Der Erzbischof kam nun, um in der letzten Stunde bei ihr zu
sein, das hatte er dem König versprochen. Aber sie schüttelte
das Haupt und bat mit Blicken und Mienen, er möge gehen.
In dieser Nacht mußte sie ja ihre Arbeit vollenden, sonst
war alles unnütz, alles, Schmerz, Tränen und die schlaflosen
Nächte. Der Erzbischof entfernte sich mit bösen Worten
gegen sie, aber die arme Elisa wußte, daß sie unschuldig
war, und fuhr in ihrer Arbeit fort.
Die kleinen Mäuse liefen auf dem Fußboden, sie schleppten
Nesseln zu ihren Füßen hin, um doch etwas zu helfen.
Und die Drossel setzte sich an das Gitter des Fensters und sang
die ganze Nacht so munter, wie sie konnte, damit Elisa nicht
den Mut verlieren möchte.
Es dämmerte noch, erst nach einer Stunde ging die Sonne
auf. Da standen die elf Brüder an der Pforte des Schlosses
und verlangten, vor den König geführt zu werden. Das
könne nicht geschehen, wurde geantwortet, es sei ja noch
Nacht; der König schlafe und dürfe nicht geweckt werden.
Sie baten, sie drohten, die Wache kam, ja selbst der König
trat heraus und fragte, was das bedeute. Da ging gerade die
Sonne auf, und nun waren keine Brüder zu sehen; aber über
das Schloß flogen elf wilde Schwäne hin.
Aus dem Stadttor strömte das ganze Volk; es wollte die
Hexe verbrennen sehen. Ein alter Gaul zog den Karren, auf dem
sie saß. Man hatte ihr einen Kittel von grobem Sackleinen
angezogen; ihr herrliches Haar hing aufgelöst um das schöne
Haupt; ihre Wangen waren totenbleich, ihre Lippen bewegten sich
leise, während die Finger den grünen Flachs zurichteten.
Selbst auf dem Weg zu ihrem Tode unterbrach sie die angefangene
Arbeit nicht. Die zehn Panzerhemden lagen zu ihren Füßen,
an dem elften arbeitete sie. Der Pöbel verhöhnte sie.
"Sieh die rote Hexe, wie sie murmelt! Kein Gesangbuch
hat sie in der Hand, nein, mit ihrer häßlichen Gaukelei
sitzt sie da. Reißt sie ihr in tausend Stücke!"
Und sie drangen alle auf sie ein und wollten die Panzerhemden
zerreißen. Da kamen elf wilde Schwäne geflogen, die
setzten sich rings um sie auf den Karren und schlugen mit ihren
großen Schwingen. Nun wich der Haufe erschrocken zur Seite.
"Das ist ein Zeichen des Himmels! Sie ist sicher unschuldig!"
flüsterten viele. Aber sie wagten nicht, es laut zu sagen.
Jetzt ergriff der Henker sie bei der Hand. Da warf sie hastig
die elf Panzerhemden über die Schwäne. Und sogleich
standen elf schöne Prinzen da. Aber der jüngste hatte
einen Schwanenflügel statt des einen Armes, denn es fehlte
ein Ärmel in seinem Panzerhemd; den hatte sie nicht fertig
gebracht.
"Jetzt darf ich sprechen!" sagte sie. "Ich bin
unschuldig!"
Und das Volk, welches sah, was geschehen war, neigte sich vor
ihr wie vor einer Heiligen. Aber sie sank wie leblos in der
Brüder Arme, so hatten Spannung, Angst und Schmerz auf
sie gewirkt.
"Ja, unschuldig ist sie", sagte der älteste
Bruder, und nun erzählte er alles, was geschehen war. Und
während er sprach, verbreitete sich ein Duft wie von Millionen
Rosen, denn jedes Stück Brennholz im Scheiterhaufen hatte
Wurzel geschlagen und trieb Zweige. Es stand eine duftende Hecke
da, hoch und groß mit roten Rosen; ganz oben saß
eine Blume, weiß und glänzend, sie leuchtete wie
ein Stern. Die pflückte der König und steckte sie
an Elisas Brust. Da erwachte sie mit Frieden und Glückseligkeit
im Herzen.
Und alle Kirchenglocken läuteten von selbst, und die Vögel
kamen in großen Zügen. Es wurde ein Hochzeitszug
zurück zum Schloß, wie ihn noch kein König gesehen
hatte!
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