Wilhelm Hauff
Die
Geschichte von dem kleinen Muck
In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte
ein Mann, den man den kleinen Muck hieß. Ich kann mir
ihn, ob ich gleich damals noch sehr jung war, noch recht wohl
denken, besonders weil ich einmal von meinem Vater wegen seiner
halbtot geprügelt wurde. Der kleine Muck nämlich war
schon ein alter Geselle, als ich ihn kannte; doch war er nur
drei bis vier Schuh hoch, dabei hatte er eine sonderbare Gestalt,
denn sein Leib, so klein und zierlich er war, mußte einen
Kopf tragen, viel größer und dicker als der Kopf
anderer Leute; er wohnte ganz allein in einem großen Haus
und kochte sich sogar selbst, auch hätte man in der Stadt
nicht gewußt, ob er lebe oder gestorben sei, denn er ging
nur alle vier Wochen einmal aus, wenn nicht um die Mittagsstunde
ein mächtiger Dampf aus dem Hause aufgestiegen wäre,
doch sah man ihn oft abends auf seinem Dache auf und ab gehen,
von der Straße aus glaubte man aber, nur sein großer
Kopf allein laufe auf dem Dache umher. Ich und meine Kameraden
waren böse Buben, die jedermann gerne neckten und belachten,
daher war es uns allemal ein Festtag, wenn der kleine Muck ausging;
wir versammelten uns an dem bestimmten Tage vor seinem Haus
und warteten, bis er herauskam; wenn dann die Türe aufging
und zuerst der große Kopf mit dem noch größeren
Turban herausguckte, wenn das übrige Körperlein nachfolgte,
angetan mit einem abgeschabten Mäntelein, weiten Beinkleidern
und einem breiten Gürtel, an welchem ein langer Dolch hing,
so lang, daß man nicht wußte, ob Muck an dem Dolch,
oder der Dolch an Muck stak, wenn er so heraustrat, da ertönte
die Luft von unserem Freudengeschrei, wir warfen unsere Mützen
in die Höhe und tanzten wie toll um ihn her. Der kleine
Muck aber grüßte uns mit ernsthaftem Kopfnicken und
ging mit langsamen Schritten die Straße hinab. Wir Knaben
liefen hinter ihm her und schrien immer: »Kleiner Muck,
kleiner Muck! « Auch hatten wir ein lustiges Verslein,
das wir ihm zu Ehren hier und da sangen; es hieß:
»Kleiner Muck, kleiner Muck,
Wohnst in einem großen Haus,
Gehst nur all vier Wochen aus,
Bist ein braver, kleiner Zwerg,
Hast ein Köpflein wie ein Berg,
Schau dich einmal um und guck,
Lauf und fang uns, kleiner Muck!«
So hatten wir schon oft unsere Kurzweil getrieben, und zu meiner
Schande muß ich es gestehen, ich trieb's am ärgsten;
denn ich zupfte ihn oft am Mäntelein, und einmal trat ich
ihm auch von hinten auf die großen Pantoffeln, daß
er hinfiel. Dies kam mir nun höchst lächerlich vor,
aber das Lachen verging mir, als ich den kleinen Muck auf meines
Vaters Haus zugehen sah. Er ging richtig hinein und blieb einige
Zeit dort. Ich versteckte mich an der Haustüre und sah
den Muck wieder herauskommen, von meinem Vater begleitet, der
ihn ehrerbietig an der Hand hielt und an der Türe unter
vielen Bücklingen sich von ihm verabschiedete. Mir war
gar nicht wohl zumute; ich blieb daher lange in meinem Versteck;
endlich aber trieb mich der Hunger, den ich ärger fürchtete
als Schläge, heraus, und demütig und mit gesenktem
Kopf trat ich vor meinen Vater. »Du hast, wie ich höre,
den guten Muck beschimpft?« sprach er in sehr ernstem
Tone. »Ich will dir die Geschichte dieses Muck erzählen,
und du wirst ihn gewiß nicht mehr auslachen; vor- und
nachher aber bekommst du das Gewöhnliche.« Das Gewöhnliche
aber waren fünfundzwanzig Hiebe, die er nur allzu richtig
aufzuzählen pflegte. Er nahm daher sein langes Pfeifenrohr,
schraubte die Bernsteinmundspitze ab und bearbeitete mich ärger
als je zuvor.
Als die Fünfundzwanzig voll waren, befahl er mir, aufzumerken,
und erzählte mir von dem kleinen Muck:
Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Muckrah heißt,
war ein angesehener, aber armer Mann hier in Nicea. Er lebte
beinahe so einsiedlerisch wie jetzt sein Sohn. Diesen konnte
er nicht wohl leiden, weil er sich seiner Zwerggestalt schämte,
und ließ ihn daher auch in Unwissenheit aufwachsen. Der
kleine Muck war noch in seinem sechzehnten Jahr ein lustiges
Kind, und der Vater, ein ernster Mann, tadelte ihn immer, daß
er, der schon längst die Kinderschuhe zertreten haben sollte,
noch so dumm und läppisch sei.
Der Alte tat aber einmal einen bösen Fall, an welchem
er auch starb und den kleinen Muck arm und unwissend zurückließ.
Die harten Verwandten, denen der Verstorbene mehr schuldig war,
als er bezahlen konnte, jagten den armen Kleinen aus dem Hause
und rieten ihm, in die Welt hinauszugehen und sein Glück
zu suchen. Der kleine Muck antwortete, er sei schon reisefertig,
bat sich aber nur noch den Anzug seines Vaters aus, und dieser
wurde ihm auch bewilligt. Sein Vater war ein großer, starker
Mann gewesen, daher paßten die Kleider nicht. Muck aber
wußte bald Rat; er schnitt ab, was zu lang war, und zog
dann die Kleider an. Er schien aber vergessen zu haben, daß
er auch in der Weite davon schneiden müsse, daher sein
sonderbarer Aufzug, wie er noch heute zu sehen ist; der große
Turban, der breite Gürtel, die weiten Hosen, das blaue
Mäntelein, alles dies sind Erbstücke seines Vaters,
die er seitdem getragen; den langen Damaszenerdolch seines Vaters
aber steckte er in den Gürtel, ergriff ein Stöcklein
und wanderte zum Tor hinaus.
Fröhlich wanderte er den ganzen Tag; denn er war ja ausgezogen,
um sein Glück zu suchen; wenn er eine Scherbe auf der Erde
im Sonnenschein glänzen sah, so steckte er sie gewiß
zu sich, im Glauben, daß sie sich in den schönsten
Diamanten verwandeln werde; sah er in der Ferne die Kuppel einer
Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen See wie einen Spiegel
blinken, so eilte er voll Freude darauf zu; denn er dachte,
in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! Jene Trugbilder
verschwanden in der Nähe, und nur allzubald erinnerten
ihn seine Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen,
daß er noch im Lande der Sterblichen sich befinde. So
war er zwei Tage gereist unter Hunger und Kummer und verzweifelte,
sein Glück zu finden; die Früchte des Feldes waren
seine einzige Nahrung, die harte Erde sein Nachtlager. Am Morgen
des dritten Tages erblickte er von einer Anhöhe eine große
Stadt.
Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen, bunte Fahnen
schimmerten auf den Dächern und schienen den kleinen Muck
zu sich herzuwinken. Überrascht stand er stille und betrachtete
Stadt und Gegend. »Ja, dort wird Klein-Muck sein Glück
finden«, sprach er zu sich und machte trotz seiner Müdigkeit
einen Luftsprung, »dort oder nirgends.« Er raffte
alle seine Kräfte zusammen und schritt auf die Stadt zu.
Aber obgleich sie ganz nahe schien, konnte er sie doch erst
gegen Mittag erreichen; denn seine kleinen Glieder versagten
ihm beinahe gänzlich ihren Dienst, und er mußte sich
oft in den Schatten einer Palme setzen, um auszuruhen. Endlich
war er an dem Tor der Stadt angelangt. Er legte sein Mäntelein
zurecht, band den Turban schöner um, zog den Gürtel
noch breiter an und steckte den langen Dolch schiefer; dann
wischte er den Staub von den Schuhen, ergriff sein Stöcklein
und ging mutig zum Tor hinein.
Er hatte schon einige Straßen durchwandert; aber nirgends
öffnete sich ihm die Türe, nirgends rief man, wie
er sich vorgestellt hatte: »Kleiner Muck, komm herein
und iß und trink und laß deine Füßlein
ausruhen!«
Er schaute gerade auch wieder recht sehnsüchtig an einem
großen, schönen Haus hinauf; da öffnete sich
ein Fenster, eine alte Frau schaute heraus und rief mit singender
Stimme:
»Herbei, herbei!
Gekocht ist der Brei,
Den Tisch ließ ich decken,
Drum laßt es euch schmecken;
Ihr Nachbarn herbei,
Gekocht ist der Brei.«
Die Türe des Hauses öffnete sich, und Muck sah viele
Hunde und Katzen hineingehen. Er stand einige Augenblicke in
Zweifel, ob er der Einladung folgen sollte; endlich aber faßte
er sich ein Herz und ging in das Haus. Vor ihm her gingen ein
paar junge Kätzlein, und er beschloß, ihnen zu folgen,
weil sie vielleicht die Küche besser wüßten
als er.
Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener
alten Frau, die zum Fenster herausgeschaut hatte. Sie sah ihn
mürrisch an und fragte nach seinem Begehr. »Du hast
ja jedermann zu deinem Brei eingeladen«, antwortete der
kleine Muck, »und weil ich so gar hungrig bin, bin ich
auch gekommen.«
Die Alte lachte und sprach: »Woher kommst du denn, wunderlicher
Gesell? Die ganze Stadt weiß, daß ich für niemand
koche als für meine lieben Katzen, und hier und da lade
ich ihnen Gesellschaft aus der Nachbarschaft ein, wie du siehst.«
Der kleine Muck erzählte der alten Frau, wie es ihm nach
seines Vaters Tod so hart ergangen sei, und bat sie, ihn heute
mit ihren Katzen speisen zu lassen. Die Frau, welcher die treuherzige
Erzählung des Kleinen wohl gefiel, erlaubte ihm, ihr Gast
zu sein, und gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Als
er gesättigt und gestärkt war, betrachtete ihn die
Frau lange und sagte dann: »Kleiner Muck, bleibe bei mir
in meinem Dienste! Du hast geringe Mühe und sollst gut
gehalten sein.«
Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte
ein und wurde also der Bedienstete der Frau Ahavzi. Er hatte
einen leichten, aber sonderbaren Dienst. Frau Ahavzi hatte nämlich
zwei Kater und vier Katzen, diesen mußte der kleine Muck
alle Morgen den Pelz kämmen und mit köstlichen Salben
einreiben; wenn die Frau ausging, mußte er auf die Katzen
Achtung geben, wenn sie aßen, mußte er ihnen die
Schüsseln vorlegen, und nachts mußte er sie auf seidene
Polster legen und sie mit samtenen Decken einhüllen. Auch
waren noch einige kleine Hunde im Haus, die er bedienen mußte,
doch wurden mit diesen nicht so viele Umstände gemacht
wie mit den Katzen, welche Frau Ahavzi wie ihre eigenen Kinder
hielt. Übrigens führte Muck ein so einsames Leben
wie in seines Vaters Haus, denn außer der Frau sah er
den ganzen Tag nur Hunde und Katzen. Eine Zeitlang ging es dem
kleinen Muck ganz gut; er hatte immer zu essen und wenig zu
arbeiten, und die alte Frau schien recht zufrieden mit ihm zu
sein, aber nach und nach wurden die Katzen unartig, wenn die
Alte ausgegangen war, sprangen sie wie besessen in den Zimmern
umher, warfen alles durcheinander und zerbrachen manches schöne
Geschirr, das ihnen im Weg stand. Wenn sie aber die Frau die
Treppe heraufkommen hörten, verkrochen sie sich auf ihre
Polster und wedelten ihr mit den Schwänzen entgegen, wie
wenn nichts geschehen wäre. Die Frau Ahavzi geriet dann
in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so verwüstet sah, und schob
alles auf Muck, er mochte seine Unschuld beteuern, wie er wollte,
sie glaubte ihren Katzen, die so unschuldig aussahen, mehr als
ihrem Diener.
Der kleine Muck war sehr traurig, daß er also auch hier
sein Glück nicht gefunden hatte, und beschloß bei
sich, den Dienst der Frau Ahavzi zu verlassen. Da er aber auf
seiner ersten Reise erfahren hatte, wie schlecht man ohne Geld
lebt, so beschloß er, den Lohn, den ihm seine Gebieterin
immer versprochen, aber nie gegeben hatte, sich auf irgendeine
Art zu verschaffen. Es befand sich in dem Hause der Frau Ahavzi
ein Zimmer, das immer verschlossen war und dessen Inneres er
nie gesehen hatte. Doch hatte er die Frau oft darin rumoren
gehört, und er hätte oft für sein Leben gern
gewußt, was sie dort versteckt habe. Als er nun an sein
Reisegeld dachte, fiel ihm ein, daß dort die Schätze
der Frau versteckt sein könnten. Aber immer war die Tür
fest verschlossen, und er konnte daher den Schätzen nie
beikommen.
Eines Morgens, als die Frau Ahavzi ausgegangen war, zupfte
ihn eines der Hundlein, welches von der Frau immer sehr stiefmütterlich
behandelt wurde, dessen Gunst er sich aber durch allerlei Liebesdienste
in hohem Grade erworben hatte, an seinen weiten Beinkleidern
und gebärdete sich dabei, wie wenn Muck ihm folgen sollte.
Muck, welcher gerne mit den Hunden spielte, folgte ihm, und
siehe da, das Hundlein führte ihn in die Schlafkammer der
Frau Ahavzi vor eine kleine Türe, die er nie zuvor dort
bemerkt hatte. Die Türe war halb offen. Das Hundlein ging
hinein, und Muck folgte ihm, und wie freudig war er überrascht,
als er sah, daß er sich in dem Gemach befand, das schon
lange das Ziel seiner Wünsche war. Er spähte überall
umher, ob er kein Geld finden könne, fand aber nichts.
Nur alte Kleider und wunderlich geformte Geschirre standen umher.
Eines dieser Geschirre zog seine besondere Aufmerksamkeit auf
sich. Es war von Kristall, und schöne Figuren waren darauf
ausgeschnitten. Er hob es auf und drehte es nach allen Seiten.
Aber, o Schrecken! Er hatte nicht bemerkt, daß es einen
Deckel hatte, der nur leicht darauf hingesetzt war. Der Deckel
fiel herab und zerbrach in tausend Stücke.
Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt war
sein Schicksal entschieden, jetzt mußte er entfliehen,
sonst schlug ihn die Alte tot. Sogleich war auch seine Reise
beschlossen, und nur noch einmal wollte er sich umschauen, ob
er nichts von den Habseligkeiten der Frau Ahavzi zu seinem Marsch
brauchen könnte. Da fielen ihm ein Paar mächtig große
Pantoffeln ins Auge; sie waren zwar nicht schön; aber seine
eigenen konnten keine Reise mehr mitmachen; auch zogen ihn jene
wegen ihrer Größe an; denn hatte er diese am Fuß,
so mußten ihm hoffentlich alle Leute ansehen, daß
er die Kinderschuhe vertreten habe. Er zog also schnell seine
Töffelein aus und fuhr in die großen hinein. Ein
Spazierstöcklein mit einem schön geschnittenen Löwenkopf
schien ihm auch hier allzu müßig in der Ecke zu stehen;
er nahm es also mit und eilte zum Zimmer hinaus. Schnell ging
er jetzt auf seine Kammer, zog sein Mäntelein an, setzte
den väterlichen Turban auf, steckte den Dolch in den Gürtel
und lief, so schnell ihn seine Füße trugen, zum Haus
und zur Stadt hinaus. Vor der Stadt lief er, aus Angst vor der
Alten, immer weiter fort, bis er vor Müdigkeit beinahe
nicht mehr konnte. So schnell war er in seinem Leben nicht gegangen;
ja, es schien ihm, als könne er gar nicht aufhören
zu rennen; denn eine unsichtbare Gewalt schien ihn fortzureißen.
Endlich bemerkte er, daß es mit den Pantoffeln eine eigene
Bewandtnis haben müsse; denn diese schossen immer fort
und führten ihn mit sich. Er versuchte auf allerlei Weise
stillzustehen; aber es wollte nicht gelingen; da rief er in
der höchsten Not, wie man den Pferden zuruft, sich selbst
zu: »Oh - oh, halt, oh!« Da hielten die Pantoffeln,
und Muck warf sich erschöpft auf die Erde nieder.
Die Pantoffeln freuten ihn ungemein. So hatte er sich denn
doch durch seine Verdienste etwas erworben, das ihm in der Welt
auf seinem Weg das Glück zu suchen, forthelfen konnte.
Er schlief trotz seiner Freude vor Erschöpfung ein; denn
das Körperlein des kleinen Muck, das einen so schweren
Kopf zu tragen hatte, konnte nicht viel aushalten. Im Traum
erschien ihm das Hundlein, welches ihm im Hause der Frau Ahavzi
zu den Pantoffeln verholfen hatte, und sprach zu ihm: »Lieber
Muck, du verstehst den Gebrauch der Pantoffeln noch nicht recht;
wisse, wenn du dich in ihnen dreimal auf dem Absatz herumdrehst,
so kannst du hinfliegen, wohin du nur willst, und mit dem Stöcklein
kannst du Schätze finden, denn wo Gold vergraben ist, da
wird es dreimal auf die Erde schlagen, bei Silber zweimal.«
So träumte der kleine Muck. Als er aber aufwachte, dachte
er über den wunderbaren Traum nach und beschloß,
alsbald einen Versuch zu machen. Er zog die Pantoffeln an, lupfte
einen Fuß und begann sich auf dem Absatz umzudrehen. Wer
es aber jemals versucht hat, in einem ungeheuer weiten Pantoffel
dieses Kunststück dreimal hintereinander zu machen, der
wird sich nicht wundern, wenn es dem kleinen Muck nicht gleich
glückte, besonders wenn man bedenkt, daß ihn sein
schwerer Kopf bald auf diese, bald auf jene Seite hinüberzog.
Der arme Kleine fiel einigemal tüchtig auf die Nase; doch
ließ er sich nicht abschrecken, den Versuch zu wiederholen,
und endlich glückte es. Wie ein Rad fuhr er auf seinem
Absatz herum, wünschte sich in die nächste große
Stadt, und - die Pantoffeln ruderten hinauf in die Lüfte,
liefen mit Windeseile durch die Wolken, und ehe sich der kleine
Muck noch besinnen konnte, wie ihm geschah, befand er sich schon
auf einem großen Marktplatz, wo viele Buden aufgeschlagen
waren und unzählige Menschen geschäftig hin und her
liefen. Er ging unter den Leuten hin und her, hielt es aber
für ratsamer, sich in eine einsamere Straße zu begeben;
denn auf dem Markt trat ihm bald da einer auf die Pantoffeln,
daß er beinahe umfiel, bald stieß er mit seinem
weit hinausstehenden Dolch einen oder den anderen an, daß
er mit Mühe den Schlägen entging.
Der kleine Muck bedachte nun ernstlich, was er wohl anfangen
könnte, um sich ein Stück Geld zu verdienen; er hatte
zwar ein Stäblein, das ihm verborgene Schätze anzeigte,
aber wo sollte er gleich einen Platz finden, wo Gold oder Silber
vergraben wäre? Auch hätte er sich zur Not für
Geld sehen lassen können; aber dazu war er doch zu stolz.
Endlich fiel ihm die Schnelligkeit seiner Füße ein,
»vielleicht«, dachte er, »können mir
meine Pantoffeln Unterhalt gewähren«, und er beschloß,
sich als Schnelläufer zu verdingen. Da er aber hoffen durfte,
daß der König dieser Stadt solche Dienste am besten
bezahle, so erfragte er den Palast. Unter dem Tor des Palastes
stand eine Wache, die ihn fragte, was er hier zu suchen habe.
Auf seine Antwort, daß er einen Dienst suche, wies man
ihn zum Aufseher der Sklaven. Diesem trug er sein Anliegen vor
und bat ihn, ihm einen Dienst unter den königlichen Boten
zu besorgen. Der Aufseher maß ihn mit seinen Augen von
Kopf bis zu den Füßen und sprach: »Wie, mit
deinen Füßlein, die kaum so lang als eine Spanne
sind, willst du königlicher Schnelläufer werden? Hebe
dich weg, ich bin nicht dazu da, mit jedem Narren Kurzweil zu
machen.« Der kleine Muck versicherte ihm aber, daß
es ihm vollkommen ernst sei mit seinem Antrag und daß
er es mit dem Schnellsten auf eine Wette ankommen lassen wollte.
Dem Aufseher kam die Sache gar lächerlich vor; er befahl
ihm, sich bis auf den Abend zu einem Wettlauf bereitzuhalten,
führte ihn in die Küche und sorgte dafür, daß
ihm gehörig Speis' und Trank gereicht wurde; er selbst
aber begab sich zum König und erzählte ihm vom kleinen
Muck und seinem Anerbieten. Der König war ein lustiger
Herr, daher gefiel es ihm wohl, daß der Aufseher der Sklaven
den kleinen Menschen zu einem Spaß behalten habe, er befahl
ihm, auf einer großen Wiese hinter dem Schloß Anstalten
zu treffen, daß das Wettlaufen mit Bequemlichkeit von
seinem ganzen Hofstaat könnte gesehen werden, und empfahl
ihm nochmals, große Sorgfalt für den Zwerg zu haben.
Der König erzählte seinen Prinzen und Prinzessinnen,
was sie diesen Abend für ein Schauspiel haben würden,
diese erzählten es wieder ihren Dienern, und als der Abend
herankam, war man in gespannter Erwartung, und alles, was Füße
hatte, strömte hinaus auf die Wiese, wo Gerüste aufgeschlagen
waren, um den großsprecherischen Zwerg laufen zu sehen.
Als der König und seine Söhne und Töchter auf
dem Gerüst Platz genommen hatten, trat der kleine Muck
heraus auf die Wiese und machte vor den hohen Herrschaften eine
überaus zierliche Verbeugung. Ein allgemeines Freudengeschrei
ertönte, als man des Kleinen ansichtig wurde; eine solche
Figur hatte man dort noch nie gesehen. Das Körperlein mit
dem mächtigen Kopf, das Mäntelein und die weiten Beinkleider,
der lange Dolch in dem breiten Gürtel, die kleinen Füßlein
in den weiten Pantoffeln - nein! es war zu drollig anzusehen,
als daß man nicht hätte laut lachen sollen. Der kleine
Muck ließ sich aber durch das Gelächter nicht irremachen.
Er stellte sich stolz, auf sein Stöcklein gestützt,
hin und erwartete seinen Gegner. Der Aufseher der Sklaven hatte
nach Mucks eigenem Wunsche den besten Läufer ausgesucht.
Dieser trat nun heraus, stellte sich neben den Kleinen, und
beide harrten auf das Zeichen. Da winkte Prinzessin Amarza,
wie es ausgemacht war, mit ihrem Schleier, und wie zwei Pfeile,
auf dasselbe Ziel abgeschossen, flogen die beiden Wettläufer
über die Wiese hin.
Von Anfang hatte Mucks Gegner einen bedeutenden Vorsprung,
aber dieser jagte ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk nach, holte
ihn ein, überfing ihn und stand längst am Ziele, als
jener noch, nach Luft schnappend, daherlief. Verwunderung und
Staunen fesselten einige Augenblicke die Zuschauer, als aber
der König zuerst in die Hände klatschte, da jauchzte
die Menge, und alle riefen: »Hoch lebe der kleine Muck,
der Sieger im Wettlauf!«
Man hatte indes den kleinen Muck herbeigebracht; er warf sich
vor dem König nieder und sprach: »Großmächtigster
König, ich habe dir hier nur eine kleine Probe meiner Kunst
gegeben; wolle nur gestatten, daß man mir eine Stelle
unter deinen Läufern gebe!«
Der König aber antwortete ihm: »Nein, du sollst
mein Leibläufer und immer um meine Person sein, lieber
Muck, jährlich sollst du hundert Goldstücke erhalten
als Lohn, und an der Tafel meiner ersten Diener sollst du speisen.«
So glaubte denn Muck, endlich das Glück gefunden zu haben,
das er so lange suchte, und war fröhlich und wohlgemut
in seinem Herzen. Auch erfreute er sich der besonderen Gnade
des Königs, denn dieser gebrauchte ihn zu seinen schnellsten
und geheimsten Sendungen, die er dann mit der größten
Genauigkeit und mit unbegreiflicher Schnelle besorgte.
Aber die übrigen Diener des Königs waren ihm gar
nicht zugetan, weil sie sich ungern durch einen Zwerg, der nichts
verstand, als schnell zu laufen, in der Gunst ihres Herrn zurückgesetzt
sahen. Sie veranstalteten daher manche Verschwörung gegen
ihn, um ihn zu stürzen; aber alle schlugen fehl an dem
großen Zutrauen, das der König in seinen geheimen
Oberleibläufer (denn zu dieser Würde hatte er es in
so kurzer Zeit gebracht) setzte.
Muck, dem diese Bewegungen gegen ihn nicht entgingen, sann
nicht auf Rache, dazu hatte er ein zu gutes Herz, nein, auf
Mittel dachte er, sich bei seinen Feinden notwendig und beliebt
zu machen. Da fiel ihm sein Stäblein, das er in seinem
Glück außer acht gelassen hatte, ein; wenn er Schätze
finde, dachte er, würden ihm die Herren schon geneigter
werden. Er hatte schon oft gehört, daß der Vater
des jetzigen Königs viele seiner Schätze vergraben
habe, als der Feind sein Land überfallen; man sagte auch,
er sei darüber gestorben, ohne daß er sein Geheimnis
habe seinem Sohn mitteilen können. Von nun an nahm Muck
immer sein Stöcklein mit, in der Hoffnung, einmal an einem
Ort vorüberzugehen, wo das Geld des alten Königs vergraben
sei. Eines Abends führte ihn der Zufall in einen entlegenen
Teil des Schloßgartens, den er wenig besuchte, und plötzlich
fühlte er das Stöcklein in seiner Hand zucken, und
dreimal schlug es gegen den Boden. Nun wußte er schon,
was dies zu bedeuten hatte. Er zog daher seinen Dolch heraus,
machte Zeichen in die umstellenden Bäume und schlich sich
wieder in das Schloß; dort verschaffte er sich einen Spaten
und wartete die Nacht zu seinem Unternehmen ab.
Das Schatzgraben selbst machte übrigens dem kleinen Muck
mehr zu schaffen, als er geglaubt hatte.
Seine Arme waren gar zu schwach, sein Spaten aber groß
und schwer; und er mochte wohl schon zwei Stunden gearbeitet
haben, ehe er ein paar Fuß tief gegraben hatte. Endlich
stieß er auf etwas Hartes, das wie Eisen klang. Er grub
jetzt emsiger, und bald hatte er einen großen eisernen
Deckel zutage gefördert; er stieg selbst in die Grube hinab,
um nachzuspähen, was wohl der Deckel könnte bedeckt
haben, und fand richtig einen großen Topf, mit Goldstücken
angefüllt. Aber seine schwachen Kräfte reichten nicht
hin, den Topf zu heben, daher steckte er in seine Beinkleider
und seinen Gürtel, so viel er zu tragen vermochte, und
auch sein Mäntelein füllte er damit, bedeckte das
übrige wieder sorgfältig und lud es auf den Rücken.
Aber wahrlich, wenn er die Pantoffeln nicht an den Füßen
gehabt hätte, er wäre nicht vom Fleck gekommen, so
zog ihn die Last des Goldes nieder. Doch unbemerkt kam er auf
sein Zimmer und verwahrte dort sein Gold unter den Polstern
seines Sofas.
Als der kleine Muck sich im Besitz so vielen Goldes sah, glaubte
er, das Blatt werde sich jetzt wenden und er werde sich unter
seinen Feinden am Hofe viele Gönner und warme Anhänger
erwerben. Aber schon daran konnte man erkennen, daß der
gute Muck keine gar sorgfältige Erziehung genossen haben
mußte, sonst hätte er sich wohl nicht einbilden können,
durch Gold wahre Freunde zu gewinnen. Ach, daß er damals
seine Pantoffeln geschmiert und sich mit seinem Mäntelein
voll Gold aus dem Staub gemacht hätte!
Das Gold, das der kleine Muck von jetzt an mit vollen Händen
austeilte, erweckte den Neid der übrigen Hofbediensteten.
Der Küchenmeister Ahuli sagte: »Er ist ein Falschmünzer.«
Der Sklavenaufseher Achmet sagte: »Er hat's dem König
abgeschwatzt.«
Archaz, der Schatzmeister, aber, sein ärgster Feind, der
selbst hier und da einen Griff in des Königs Kasse tun
mochte, sagte geradezu: »Er hat's gestohlen.«
Um nun ihrer Sache gewiß zu sein, verabredeten sie sich,
und der Obermundschenk Korchuz stellte sich eines Tages recht
traurig und niedergeschlagen vor die Augen des Königs.
Er machte seine traurigen Gebärden so auffallend, daß
ihn der König fragte, was ihm fehle .
»Ah«, antwortete er, »ich bin traurig, daß
ich die Gnade meines Herrn verloren habe.«
»Was fabelst du, Freund Korchuz?« entgegnete ihm
der König. »Seit wann hätte ich die Sonne meiner
Gnade nicht über dich leuchten lassen?« Der Obermundschenk
antwortete ihm, daß er ja den geheimen Oberleibläufer
mit Gold belade, seinen armen, treuen Dienern aber nichts gebe.
Der König war sehr erstaunt über diese Nachricht,
ließ sich die Goldausteilungen des kleinen Muck erzählen,
und die Verschworenen brachten ihm leicht den Verdacht bei,
daß Muck auf irgendeine Art das Geld aus der Schatzkammer
gestohlen habe. Sehr lieb war diese Wendung der Sache dem Schatzmeister,
der ohnehin nicht gerne Rechnung ablegte. Der König gab
daher den Befehl, heimlich auf alle Schritte des kleinen Muck
achtzugeben, um ihn womöglich auf der Tat zu ertappen.
Als nun in der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte,
der kleine Muck, da er durch seine Freigebigkeit seine Kasse
sehr erschöpft sah, den Spaten nahm und in den Schloßgarten
schlich, um dort von seinem geheimen Schatze neuen Vorrat zu
holen, folgten ihm von weitem die Wachen, von dem Küchenmeister
Ahuli und Archaz, dem Schatzmeister, angeführt, und in
dem Augenblick, da er das Gold aus dem Topf in sein Mäntelein
legen wollte, fielen sie über ihn her, banden ihn und führten
ihn sogleich vor den König. Dieser, den ohnehin die Unterbrechung
seines Schlafes mürrisch gemacht hatte, empfing seinen
armen Oberleibläufer sehr ungnädig und stellte sogleich
das Verhör über ihn an. Man hatte den Topf vollends
aus der Erde gegraben und mit dem Spaten und mit dem Mäntelein
voll Gold vor die Füße des Königs gesetzt. Der
Schatzmeister sagte aus, daß er mit seinen Wachen den
Muck überrascht habe, wie er diesen Topf mit Gold gerade
in die Erde gegraben habe.
Der König befragte hierauf den Angeklagten, ob es wahr
sei und woher er das Gold, das er vergraben, bekommen habe.
Der kleine Muck, im Gefühl seiner Unschuld, sagte aus,
daß er diesen Topf im Garten entdeckt habe, daß
er ihn habe nicht ein-, sondern ausgraben wollen.
Alle Anwesenden lachten laut über diese Entschuldigung,
der König aber, aufs höchste erzürnt über
die vermeintliche Frechheit des Kleinen, rief aus: »Wie,
Elender! Du willst deinen König so dumm und schändlich
belügen, nachdem du ihn bestohlen hast? Schatzmeister Archaz!
Ich fordere dich auf, zu sagen, ob du diese Summe Goldes für
die nämliche erkennst, die in meinem Schatze fehlt.«
Der Schatzmeister aber antwortete, er sei seiner Sache ganz
gewiß, so viel und noch mehr fehle seit einiger Zeit von
dem königlichen Schatz, und er könne einen Eid darauf
ablegen, daß dies das Gestohlene sei.
Da befahl der König, den kleinen Muck in enge Ketten zu
legen und in den Turm zu führen; dem Schatzmeister aber
übergab er das Gold, um es wieder in den Schatz zu tragen.
Vergnügt über den glücklichen Ausgang der Sache,
zog dieser ab und zählte zu Haus die blinkenden Goldstücke;
aber das hat dieser schlechte Mann niemals angezeigt, daß
unten in dem Topf ein Zettel lag, der sagte: »Der Feind
hat mein Land überschwemmt, daher verberge ich hier einen
Teil meiner Schätze; wer es auch finden mag, den treffe
der Fluch seines Königs, wenn er es nicht sogleich meinem
Sohne ausliefert! König Sadi.«
Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Betrachtungen
an; er wußte, daß auf Diebstahl an königlichen
Sachen der Tod gesetzt war, und doch mochte er das Geheimnis
mit dem Stäbchen dem König nicht verraten, weil er
mit Recht fürchtete, dieses und seiner Pantoffeln beraubt
zu werden. Seine Pantoffeln konnten ihm leider auch keine Hilfe
bringen; denn da er in engen Ketten an die Mauer geschlossen
war, konnte er, so sehr er sich quälte, sich nicht auf
dem Absatz umdrehen. Als ihm aber am anderen Tage sein Tod angekündigt
wurde, da gedachte er doch, es sei besser, ohne das Zauberstäbchen
zu leben als mit ihm zu sterben, ließ den König um
geheimes Gehör bitten und entdeckte ihm das Geheimnis.
Der König maß von Anfang an seinem Geständnis
keinen Glauben bei; aber der kleine Muck versprach eine Probe,
wenn ihm der König zugestünde, daß er nicht
getötet werden solle.
Der König gab ihm sein Wort darauf und ließ, von
Muck ungesehen, einiges Gold in die Erde graben und befahl diesem,
mit seinem Stäbchen zu suchen. In wenigen Augenblicken
hatte er es gefunden; denn das Stäbchen schlug deutlich
dreimal auf die Erde. Da merkte der König, daß ihn
sein Schatzmeister betrogen hatte, und sandte ihm, wie es im
Morgenland gebräuchlich ist, eine seidene Schnur, damit
er sich selbst erdroßle. Zum kleinen Muck aber sprach
er: »Ich habe dir zwar dein Leben versprochen; aber es
scheint mir, als ob du nicht allein dieses Geheimnis mit dem
Stäbchen besitzest; darum bleibst du in ewiger Gefangenschaft,
wenn du nicht gestehst, was für eine Bewandtnis es mit
deinem Schnellaufen hat.« Der kleine Muck, den die einzige
Nacht im Turm alle Lust zu längerer Gefangenschaft benommen
hatte, bekannte, daß seine ganze Kunst in den Pantoffeln
liege, doch lehrte er den König nicht das Geheimnis von
dem dreimaligen Umdrehen auf dem Absatz. Der König schlüpfte
selbst in die Pantoffeln, um die Probe zu machen, und jagte
wie unsinnig im Garten umher; oft wollte er anhalten; aber er
wußte nicht, wie man die Pantoffeln zum Stehen brachte,
und der kleine Muck, der diese kleine Rache sich nicht versagen
konnte, ließ ihn laufen, bis er ohnmächtig niederfiel.
Als der König wieder zur Besinnung zurückgekehrt
war, war er schrecklich aufgebracht über den kleinen Muck,
der ihn so ganz außer Atem hatte laufen lassen. »Ich
habe dir mein Wort gegeben, dir Freiheit und Leben zu schenken;
aber innerhalb zwölf Stunden mußt du mein Land verlassen,
sonst lasse ich dich aufknöpfen!« Die Pantoffeln
und das Stäbchen aber ließ er in seine Schatzkammer
legen.
So arm als je wanderte der kleine Muck zum Land hinaus, seine
Torheit verwünschend, die ihm vorgespiegelt hatte, er könne
eine bedeutende Rolle am Hofe spielen. Das Land, aus dem er
gejagt wurde, war zum Glück nicht groß, daher war
er schon nach acht Stunden auf der Grenze, obgleich ihn das
Gehen, da er an seine lieben Pantoffeln gewöhnt war, sehr
sauer ankam.
Als er über der Grenze war, verließ er die gewöhnliche
Straße, um die dichteste Einöde der Wälder aufzusuchen
und dort nur sich zu leben; denn er war allen Menschen gram.
In einem dichten Walde traf er auf einen Platz, der ihm zu dem
Entschluß, den er gefaßt hatte, ganz tauglich schien.
Ein klarer Bach, von großen, schattigen Feigenbäumen
umgeben, ein weicher Rasen luden ihn ein; hier warf er sich
nieder mit dem Entschluß, keine Speise mehr zu sich zu
nehmen, sondern hier den Tod zu erwarten. Über traurigen
Todesbetrachtungen schlief er ein; als er aber wieder aufwachte
und der Hunger ihn zu quälen anfing, bedachte er doch,
daß der Hungertod eine gefährliche Sache sei, und
sah sich um, ob er nirgends etwas zu essen bekommen könnte.
Köstliche reife Feigen hingen an dem Baume, unter welchem
er geschlafen hatte; er stieg hinauf, um sich einige zu pflücken,
ließ es sich trefflich schmecken und ging dann hinunter
an den Bach, um seinen Durst zu löschen. Aber wie groß
war sein Schrecken, als ihm das Wasser seinen Kopf mit zwei
gewaltigen Ohren und einer dicken, langen Nase geschmückt
zeigte! Bestürzt griff er mit den Händen nach den
Ohren, und wirklich, sie waren über eine halbe Elle lang.
»Ich verdiene Eselsohren!« rief er aus; »denn
ich habe mein Glück wie ein Esel mit Füßen getreten.«
Er wanderte unter den Bäumen umher, und als er wieder Hunger
fühlte, mußte er noch einmal zu den Feigen seine
Zuflucht nehmen; denn sonst fand er nichts Eßbares an
den Bäumen. Als ihm über der zweiten Portion Feigen
einfiel, ob wohl seine Ohren nicht unter seinem großen
Turban Platz hätten, damit er doch nicht gar zu lächerlich
aussehe, fühlte er, daß seine Ohren verschwunden
waren. Er lief gleich an den Bach zurück, um sich davon
zu überzeugen, und wirklich, es war so, seine Ohren hatten
ihre vorige Gestalt, seine lange, unförmliche Nase war
nicht mehr. Jetzt merkte er aber, wie dies gekommen war; von
dem ersten Feigenbaum hatte er die lange Nase und Ohren bekommen,
der zweite hatte ihn geheilt; freudig erkannte er, daß
sein gütiges Geschick ihm noch einmal die Mittel in die
Hand gebe, glücklich zu sein. Er pflückte daher von
jedem Baum so viel, wie er tragen konnte, und ging in das Land
zurück, das er vor kurzem verlassen hatte. Dort machte
er sich in dem ersten Städtchen durch andere Kleider ganz
unkenntlich und ging dann weiter auf die Stadt zu, die jener
König bewohnte, und kam auch bald dort an.
Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo reife Früchte noch
ziemlich selten waren; der kleine Muck setzte sich daher unter
das Tor des Palastes; denn ihm war von früherer Zeit her
wohl bekannt, daß hier solche Seltenheiten von dem Küchenmeister
für die königliche Tafel eingekauft wurden. Muck hatte
noch nicht lange gesessen, als er den Küchenmeister über
den Hof herüberschreiten sah. Er musterte die Waren der
Verkäufer, die sich am Tor des Palastes eingefunden hatten;
endlich fiel sein Blick auch auf Mucks Körbchen. »Ah,
ein seltener Bissen«, sagte er, »der Ihro Majestät
gewiß behagen wird. Was willst du für den ganzen
Korb?« Der kleine Muck bestimmte einen mäßigen
Preis, und sie waren bald des Handels einig. Der Küchenmeister
übergab den Korb einem Sklaven und ging weiter; der kleine
Muck aber macht sich einstweilen aus dem Staub, weil er befürchtete,
wenn sich das Unglück an den Köpfen des Hofes zeigte,
möchte man ihn als Verkäufer aufsuchen und bestrafen.
Der König war über Tisch sehr heiter gestimmt und
sagte seinem Küchenmeister einmal über das andere
Lobsprüche wegen seiner guten Küche und der Sorgfalt,
mit der er immer das Seltenste für ihn aussuche; der Küchenmeister
aber, welcher wohl wußte, welchen Leckerbissen er noch
im Hintergrund habe, schmunzelte gar freundlich und ließ
nur einzelne Worte fallen, als: »Es ist noch nicht aller
Tage Abend«, oder »Ende gut, alles gut«, so
daß die Prinzessinnen sehr neugierig wurden, was er wohl
noch bringen werde. Als er aber die schönen, einladenden
Feigen aufsetzen ließ, da entfloh ein allgemeines Ah!
dem Munde der Anwesenden.
»Wie reif, wie appetitlich!« rief der König.
»Küchenmeister, du bist ein ganzer Kerl und verdienst
unsere ganz besondere Gnade!« Also sprechend, teilte der
König, der mit solchen Leckerbissen sehr sparsam zu sein
pflegte, mit eigener Hand die Feigen an seiner Tafel aus. Jeder
Prinz und jede Prinzessin bekam zwei, die Hofdamen und die Wesire
und Agas eine, die übrigen stellte er vor sich hin und
begann mit großem Behagen sie zu verschlingen.
»Aber, lieber Gott, wie siehst du so wunderlich aus,
Vater?« rief auf einmal die Prinzessin Amarza. Alle sahen
den König erstaunt an; ungeheure Ohren hingen ihm am Kopf,
eine lange Nase zog sich über sein Kinn herunter; auch
sich selbst betrachteten sie untereinander mit Staunen und Schrecken;
alle waren mehr oder minder mit dem sonderbaren Kopfputz geschmeckt.
Man denke sich den Schrecken des Hofes! Man schickte sogleich
nach allen Ärzten der Stadt; sie kamen haufenweise, verordneten
Pillen und Mixturen; aber die Ohren und die Nasen blieben. Man
operierte einen der Prinzen; aber die Ohren wuchsen nach.
Muck hatte die ganze Geschichte in seinem Versteck, wohin er
sich zurückgezogen hatte, gehört und erkannte, daß
es jetzt Zeit sei zu handeln. Er hatte sich schon vorher von
dem aus den Feigen gelösten Geld einen Anzug verschafft,
der ihn als Gelehrten darstellen konnte; ein langer Bart aus
Ziegenhaaren vollendete die Täuschung. Mit einem Säckchen
voll Feigen wanderte er in den Palast des Königs und bot
als fremder Arzt seine Hilfe an. Man war von Anfang sehr ungläubig;
als aber der kleine Muck eine Feige einem der Prinzen zu essen
gab und Ohren und Nase dadurch in den alten Zustand zurückbrachte,
da wollte alles von dem fremden Arzte geheilt sein. Aber der
König nahm ihn schweigend bei der Hand und führte
ihn in sein Gemach; dort schloß er eine Türe auf,
die in die Schatzkammer führte, und winkte Muck, ihm zu
folgen. »Hier sind meine Schätze«, sprach der
König, »wähle dir, was es auch sei, es soll
dir gewährt werden, wenn du mich von diesem schmachvollen
Übel befreist.«
Das war süße Musik in des kleinen Muck Ohren; er
hatte gleich beim Eintritt seine Pantoffeln auf dem Boden stehen
sehen, gleich daneben lag auch sein Stäbchen. Er ging nun
umher in dem Saal, wie wenn er die Schätze des Königs
bewundern wollte; kaum aber war er an seine Pantoffeln gekommen,
so schlüpfte er eilends hinein, ergriff sein Stäbchen,
riß seinen falschen Bart herab und zeigte dem erstaunten
König das wohlbekannte Gesicht seines verstoßenen
Muck. »Treuloser König«, sprach er, »der
du treue Dienste mit Undank lohnst, nimm als wohlverdiente Strafe
die Mißgestalt, die du trägst. Die Ohren laß
ich dir zurück, damit sie dich täglich erinnern an
den kleinen Muck.« Als er so gesprochen hatte, drehte
er sich schnell auf dem Absatz herum, wünschte sich weit
hinweg, und ehe noch der König um Hilfe rufen konnte, war
der kleine Muck entflohen. Seitdem lebt der kleine Muck hier
in großem Wohlstand, aber einsam; denn er verachtet die
Menschen. Er ist durch Erfahrung ein weiser Mann geworden, welcher,
wenn auch sein Äußeres etwas Auffallendes haben mag,
deine Bewunderung mehr als deinen Spott verdient.
»So erzählte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine
Reue über mein rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann,
und mein Vater schenkte mir die andere Hälfte der Strafe,
die er mir zugedacht hatte. Ich erzählte meinen Kameraden
die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und wir gewannen ihn
so lieb, daß ihn keiner mehr schimpfte. Im Gegenteil,
wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm immer
so tief wie vor Kadi und Mufti gebückt.«
|