Hans Christian Andersen
Der
Reisekamerad
Der arme Johannes war tief betrübt, denn
sein Vater war sehr krank und hatte nur noch Stunden zu leben.
Niemand außer den beiden war in der kleinen Stube. Die
Lampe auf dem Tisch war dem Erlöschen nahe, und es war
schon später Abend.-
"Du warst mir ein guter Sohn, Johannes!" sagte der
kranke Vater, "der liebe Gott wird dir schon weiterhelfen
im Leben!" Und er sah mit ernsten, milden Augen auf ihn,
holte noch einmal tief Luft und starb; es war gerade, als ob
er schliefe. Aber Johannes weinte, denn nun hatte er niemanden
in der ganzen Welt, weder Vater noch Mutter, weder Schwester
noch Bruder mehr. Der arme Johannes! Er lag vor dem Bette auf
seinen Knien und küßte des toten Vaters Hand und
weinte viel salzige Tränen; aber zuletzt schlossen sich
seine Augen, und er schlief ein, den Kopf auf der harten Bettkante.
Da träumte er einen sonderbaren Traum, er sah, wie Sonne
und Mond sich vor ihm neigten, und er sah seinen Vater frisch
und gesund wieder und hörte ihn lachen, wie er immer gelacht
hatte, wenn er recht froh war. Ein liebliches Mädchen,
mit goldener Krone auf dem langen, schönen Haar, reichte
Johannes die Hand, und sein Vater sagte, "siehst du, was
für eine Braut du bekommen hast? Sie ist die Schönste
in der ganzen Welt!" Da erwachte er, und all das Schöne
war verschwunden, sein Vater lag tot und kalt im Bette, und
niemand war bei ihm; der arme Johannes!
Die Woche darauf wurde der Tote begraben; Johannes ging dicht
hinter dem Sarge. Niemals sollte er den guten Vater wiedersehen,
der ihn so liebgehabt hatte; er hörte, wie sie Erde auf
den Sarg warfen, sah noch die letzte Ecke davon, aber mit der
nächsten Schaufel Erde, die hinunter geworfen wurde, war
auch sie verschwunden; da war es ihm, als sollte sein Herz zerbrechen,
so traurig war er. Dann wurde noch ein Psalm gesungen. Der klang
so schön, daß die Tränen in Johannes Augen kamen,
er weinte, und das tat ihm wohl in seinem Schmerz. Die Sonne
schien freundlich auf die grünen Bäume, gerade, als
wollte sie sagen:
Wie schön blau der Himmel ist. Dort oben ist nun dein
Vater und bittet den lieben Gott, daß es dir all Wohlergehen
möge!
"Ich will immer gut sein!" sagte Johannes, "dann
komme ich auch zu meinem Vater in den Himmel, und was wird das
für eine Freude sein, wenn wir einander wiedersehen! Wieviel
werde ich ihm da zu erzählen haben, und was wird er mir
alles zeigen. Und wieviel Herrliches wird er mich lehren im
Himmel, gerade, wie er es auf Erden tat. Ach, wird das eine
Freude sein!"
Johannes sah das so deutlich vor sich, daß er lächelte,
während die Tränen ihm noch über die Backen liefen.
Die kleinen Vögel saßen oben in den Kastanienbäumen
und zwitscherten "quivit, quivit!". Sie waren so fröhlich,
obgleich sie ja bei einem Begräbnis waren, aber sie wußten
wohl, daß der tote Mann oben im Himmel war und Flügel
hatte, weit schöner und größer als die ihren,
daß er nun glücklich war, weil er hier auf Erden
gut gewesen war, und darüber waren sie fröhlich. Johannes
sah, wie sie von dem grünen Baum fort in die Welt hinaus
flogen und bekam Lust, mitzufliegen. Aber erst schnitzte er
ein großes hölzernes Kreuz, um es auf seines Vaters
Grab zu setzen, und als er es am Abend hinaustrug, war das Grab
mit Sand und Blumen geschmückt. Das hatten fremde Menschen
getan, denn sie hatten den lieben Vater, der nun tot war, auch
gern gehabt.
Zeitig am nächsten Morgen packte Johannes sein kleines
Bündel zusammen und verwahrte in seinem Gürtel sein
ganzes Erbteil, das aus 50 Reichstalern und ein paar Silberschillingen
bestand. Damit wollte er in die Welt hinaus wandern. Aber erst
ging er auf den Kirchhof zu seines Vaters Grab, sprach ein Vaterunser
und sagte: "Leb wohl, du lieber Vater! Ich will immer ein
guter Mensch sein. Bitte beim lieben Gott für mich, daß
es mir gut gehen möge!"
Draußen auf dem Felde, wo Johannes ging, standen alle
Blumen frisch und schön in dem warmen Sonnenschein, und
sie nickten im Winde, als wollten sie sagen: "Willkommen
im Grünen! Ist es hier nicht schön?"
Aber Johannes wandte sich noch einmal zurück, um die alte
Kirche zu sehen, wo er als kleines Kind getauft worden war,
wo er jeden Sonntag mit seinem alten Vater gewesen war und fromme
Lieder gesungen hatte. Da sah er hoch oben in einem der Turmlöcher
den guten kleinen Kirchen-Kobold stehen mit seinem roten spitzen
Hutlein; er schirmte sein Gesicht mit dem gebeugten Arm, da
ihm sonst die Sonne in die Augen stach. Johannes nickte ihm
Lebewohl zu, und der kleine Kobold schwang sein rotes Hütlein,
legte die Hand aufs Herz und warf viele Kußhände,
um zu zeigen, wieviel Gutes er ihm wünsche und daß
er recht glücklich reisen möge.
Johannes dachte daran, wieviel Schönes er nun in der großen,
prächtigen Welt zu sehen bekommen werde und ging weiter
und weiter, so weit, wie er nie zuvor gekommen war; er kannte
weder die Städte, durch die er kam, noch die Menschen,
die er traf. Nun war er in der Fremde.
Die erste Nacht mußte er sich auf einen Heuschober auf
dem Felde schlafen legen, ein anderes Bett hatte er nicht. Aber
das war gerade schön, meinte er, der König konnte
es nicht besser haben. Das ganze Feld mit dem Bach, dem Heuschober
und dem blauen Himmel darüber, das war doch eine schöne
Schlafkammer. Das grüne Gras mit den kleinen roten und
weißen Blumen war der Teppich, die Hollunderbüsche
und wilden Rosenhecken waren Blumensträuße, und als
Waschschüssel hatte er den ganzen Bach mit seinem klaren,
frischen Wasser, wo das Schilf sich neigte und ihm guten Morgen
und guten Abend bot. Der Mond war eine große Nachtlampe
hoch oben unter der blauen Decke, und der konnte auch wenigstens
die Gardinen nicht in Brand stecken. Johannes konnte ganz beruhigt
schlafen, und das tat er auch und erwachte erst wieder, als
die Sonne aufging und all die kleinen Vögel rings umher
ihr "Guten Morgen, guten Morgen! Bist du noch nicht auf?"
sangen.
Die Glocken läuteten zur Kirche; es war Sonntag; die Leute
gingen, um die Predigt zu hören und Johannes folgte ihnen,
sang die Lieder mit und hörte Gottes Wort, und es war ihm,
als wäre er in seiner eigenen Kirche, wo er getauft war
und mit seinem Vater gesungen hatte.
Draußen auf dem Kirchhofe waren so viele Gräber,
und auf einigen wuchs hohes Gras. Da dachte Johannes an seines
Vaters Grab, das auch einmal so aussehen würde wie diese,
nun er es nicht besorgen und schmücken konnte. Deshalb
setzte er sich nieder und riß das Gras ab, richtete die
Holzkreuze auf, die umgefallen waren, und legte die Kränze,
die der Wind von den Gräbern gerissen hatte, wieder an
ihre Stelle, während er dachte, vielleicht tut jemand das
gleiche an meines Vaters Grab, nun ich es nicht tun kann!
Draußen vor der Kirchhofstür stand ein alter Bettler
und stüzte sich auf seine Krücke. Johannes gab ihm
die Silberschillinge, die er besaß und ging dann glücklich
und froh weiter in die weite Welt hinaus.
Gegen Abend wurde es schrecklich schlechtes Wetter. Johannes
beeilte sich, um unter Dach und Fach zu kommen, aber es wurde
rasch finstere Nacht; da erreichte er endlich eine kleine Kirche,
die ganz einsam auf einem Hügel lag, die Tür stand
zum Glück nur an gelehnt, und er schlüpfte hinein;
hier wollte er bleiben, bis sich das schlechte Wetter gelegt
hatte.
"Hier will ich mich in eine Ecke setzen!" sagte er,
"ich bin so müde und könnte wohl ein wenig Ruhe
gebrauchen," dann setzte er sich nieder, faltete seine
Hände und betete sein Abendgebet, und ehe er es wußte,
schlief und träumte er, während es draußen blitzte
und donnerte.
Als er wieder erwachte, war es tiefe Nacht, aber das böse
Wetter war vorübergezogen, und der Mond schien zu den Fenstern
zu ihm herein. Mitten in der Kirche stand ein offener Sarg mit
einem toten Mann darin, denn er war noch nicht begraben. Johannes
fürchtete sich nicht, denn er hatte ein gutes Gewissen,
und er wußte wohl, daß die Toten niemandem etwas
zuleide tun; die lebenden bösen Leute sind es, die einem
Böses zufügen. Zwei solcher lebenden Bösewichte
standen dicht bei dem toten Mann, den man hier in die Kirche
gesetzt hatte, bevor er beerdigt werden sollte; sie wollten
ihm etwas Böses tun, ihn nicht in seinem Sarge liegen lassen,
sondern ihn vor die Kirchentür werfen, den armen toten
Mann.
"Warum wollt Ihr das tun?" fragte Johannes, "das
ist böse und schlecht, laßt ihn ruhen in Jesu Namen!"
"Ach, Schnickschnack!" sagten die beiden häßlichen
Menschen, "er hat uns an der Nase herumgeführt! Er
schuldete uns Geld und konnte es nicht wiedergeben; nun ist
er obendrein gestorben und wir bekommen keinen Schilling. Darum
wollen wir uns nun rächen, er soll wie ein Hund draußen
vor der Kirchentür liegen!"
"Ich habe nicht mehr als fünfzig Reichstaler!"
sagte Johannes, "das ist mein ganzes Erbteil, aber das
will ich Euch gerne geben, wenn Ihr mir ehrlich versprechen
wollt, den armen toten Mann in Frieden ruhen zu lassen. Ich
werde schon ohne das Geld durchkommen; ich habe gesunde, starke
Glieder, und der liebe Gott wird mir schon helfen."
"Ja", sagten die häßlichen Menschen, "wenn
du wirklich seine Schuld bezahlen willst, werden wir ihm gewiß
nichts tun, darauf kannst du dich verlassen!" und so nahmen
sie das Geld, das ihnen Johannes gab, lachten ganz laut über
seine Gutmütigkeit und gingen ihrer Wege; aber Johannes
legte die Leiche wieder im Sarge zurecht, faltete ihr die Hände,
nahm Abschied und ging zufriedenen Gemütes durch den großen
Wald.
Ringsumher, wo der Mond durch die Bäume scheinen konnte,
sah er die niedlichen kleinen Elfen lustig spielen; sie ließen
sich nicht stören, sie wußten wohl, daß er
ein guter, unschuldiger Mensch war, denn nur die bösen
Menschen dürfen die Elfen nicht sehen. Einige von ihnen
waren nicht größer als ein Finger, und ihre langen
blonden Haare hatten sie mit einem Goldkamm aufgesteckt; sie
schaukelten zwei und zwei auf den großen Tautropfen, die
auf den Blättern und dem hohen Grase lagen. Manchmal rollte
ein Tautropfen hinab, dann fielen sie hinunter zwischen die
langen Grashalme, und es gab Lachen und Lärmen unter dem
kleinen Volke. Es war ein gar niedlicher Anblick! Sie sangen,
und Johannes erkannte deutlich all die hübschen Weisen,
die er als kleiner Knabe gelernt hatte. Große bunte Spinnen
mit silbernen Kronen auf dem Kopfe mußten von der einen
Hecke zu der anderen lange Hängebrücken und Paläste
spinnen, die, als der feine Tau darauf fiel, wie scheinendes
Glas im klaren Mondenschein schimmerten. So währte es fort,
bis die Sonne aufging. Dann krochen die kleinen Elfen in die
Blumenknospen, und der Wind führte ihre Brücken und
Schlösser mit sich fort, daß sie in der Luft dahin
segelten, wie große Spinneweben.
Johannes war gerade aus dem Walde herausgekommen, als eine
starke Männerstimme hinter ihm rief: "Holla, Kamerad!
wohin geht die Reise?"
"In die weite Welt hinaus!" sagte Johannes. "Ich
habe weder Vater noch Mutter, bin ein armer Bursche, aber der
liebe Gott wird mir schon helfen!"
"Ich will auch in die weite Welt hinaus!" sagte der
fremde Mann. "Wollen wir zwei uns zusammentun?"
"Jawohl!" sagte Johannes, und so gingen sie zusammen
weiter. Bald wurden sie gute Freunde, denn sie waren beide gute
Menschen. Aber Johannes merkte wohl, daß der Fremde viel
klüger war als er; er hatte fast die ganze Welt gesehen
und wußte von allem Möglichen zu erzählen. Die
Sonne stand bereits hoch am Himmel, als sie sich unter einen
großen Baum setzten, um ihr Frühstück zu verzehren.
Da kam eine alte Frau des Weges. Oh, wie alt und krumm sie war.
Sie stützte sich auf einen Krückstock und trug ein
Bündel Brennholz auf dem Rücken, das sie sich im Walde
zusammengelesen hatte. Ihre Schürze war aufgerafft, und
Johannes sah, daß drei große Ruten von Farnkraut
und Weidenzweigen daraus hervorsahen. Als sie nun ganz nahe
herangekommen war, glitt ihr Fuß aus, sie fiel um und
gab einen lauten Schrei von sich, denn sie hatte ihr Bein gebrochen,
die arme, alte Frau.
Johannes sagte sogleich, daß sie sie nach Hause in ihre
Wohnung tragen wollten, aber der Fremde öffnete sein Ränzel,
holte ein Krüglein daraus hervor und sagte, daß er
hier eine Salbe habe, die sogleich ihr Bein wieder heil und
gesund machen könne, so daß sie allein heimgehen
könne und zwar, als ob sie niemals ihr Bein gebrochen habe.
Aber dafür wolle er auch, daß sie ihm die drei Ruten
schenke, die sie in ihrer Schürze habe.
"Das ist gut bezahlt!" sagte die Alte und nickte
ganz wunderlich mit dem Kopfe; sie wollte nicht so gerne ihre
Ruten hergeben. Aber es war auch kein Vergnügen, mit gebrochenem
Bein dazuliegen. So gab sie ihm denn die Ruten, und kaum hatte
er ihr das Bein mit der Salbe eingerieben, als sich die alte
Mutter auch schon aufrichtete und viel besser lief als zuvor.
Das hatte die Salbe getan. Aber die war auch in keiner Apotheke
zu haben.
"Was willst du mit den Ruten?" fragte Johannes nun
seinen Reisekameraden.
"Das sind drei schöne Kräuterbesen!" sagte
er, "auf so etwas bin ich ganz versessen; denn ich bin
ein komischer Kerl!"
So gingen sie noch ein gutes Stück weiter.
"Sieh' was da heraufziet!" sagte Johannes, und zeigte
geradeaus; "das sind ja schrecklich dicke Wolken!".
"Nein," sagte der Reisekamerad, "das sind keine
Wolken, das sind Berge. Die herrlichen großen Berge, wo
man über die Wolken hinaus in die frische Luft kommt! Glaube
mir, das ist prächtig! Morgen werden wir gewiß dort
sein!"
"Aber es war nicht so nahe, wie es aussah; sie mußten
noch einen ganzen Tag wandern, bevor sie zu den Bergen kamen,
wo die schwarzen Wälder gegen den Himmel emporstrebten
und wo es Felsen gab, groß wie eine ganze Stadt. Das würde
einige Anstrengung kosten, da hinüber zu kommen, deshalb
gingen auch Johannes und der Reisekamerad vorher in ein Wirtshaus,
um sich gut auszuruhen und Kräfte zum morgigen Marsch zu
sammeln.
Unten in der großen Schankstube im Wirtshaus waren viele
Menschen versammelt, denn da war ein Mann, der ein Puppenspiel
aufführte; er hatte gerade sein kleines Theater aufgebaut,
und die Leute saßen rings umher, um die Komödie zu
sehen. Aber in der vordersten Reihe hatte ein alter dicker Schlächter
seinen Platz, und zwar den allerbesten. Sein großer Bullenbeißer
- hu, wie grimmig glotzte der umher! - saß neben ihm und
machte große Augen, gerade wie alle die anderen.
Nun begann das Stück, und es war ein hübsches Stück,
mit einem König und einer Königin; die saßen
auf einem prächtigen Thron, hatten goldene Kronen auf dem
Haupte und lange Schleppen an den Kleidern, denn sie konnten
sich das leisten. Die niedlichsten Holzpuppen mit Glasaugen
und großen Knebelbärten standen an allen Türen
und machten sie auf und zu, damit frische Luft in die Zimmer
kommen konnte. Es war tatsächlich ein schönes Stück
und gar nicht traurig, aber, gerade als die Königin sich
erhob und über den Fußboden hinging, so - ja Gott
mag wissen, was der große Bullenbeißer dachte, aber,
da der Schlächter ihn nicht festhielt, setzte er mit einem
Sprung ins Theater, packte die Königin mitten um ihren
zarten Leib-"knickl knack!" sagte es. Es war schrecklich!
Der arme Mann, dem die Puppen gehörten, war ganz erschreckt
und betrübt über seine Königin, denn sie war
die allerhübscheste Puppe, die er besaß, und nun
hatte der häßliche Bullenbeißer ihr den Kopf
abgebissen. Als nun die Leute alle gegangen waren, sagte der
Fremde, der mit Johannes gekommen war, daß er die Puppe
schon wieder instand setzen wolle; und so zog er sein Krüglein
hervor und schmierte die Puppe mit der Salbe, mit der er der
armen alten Frau geholfen hatte, als sie das Bein gebrochen
hatte. Sobald die Puppe geschmiert war, war sie gleich wieder
ganz, ja, sie konnte sogar allein alle ihre Glieder bewegen,
man brauchte sie gar nicht mehr an Schnüren zu ziehen.
Die Puppe war wie ein lebender Mensch, nur daß sie nicht
sprechen konnte. Der Mann, dem das kleine Puppentheater gehörte,
wurde ganz froh; nun brauchte er die Puppe gar nicht mehr zu
halten, die konnte ja von selbst tanzen. Das konnte keine von
den anderen.
Als es Nacht geworden war, und alle Leute im Wirtshause zu
Bett gegangen waren, da fing es auf einmal an, tief zu seufzen,
und es hörte gar nicht auf zu seufzen, bis alle aufstanden,
um zu sehen, wer das sein könne. Der Puppenspieler ging
zu seinem kleinen Theater, denn von dort kam das Seufzen. Alle
Holzpuppen, der König und seine Trabanten, lagen durcheinander,
und sie waren es, die so jämmerlich seufzten und mit ihren
großen Glasaugen starrten, denn sie wollten so gerne ebenso
wie die Königin ein bißchen geschmiert werden, damit
sie sich auch von selbst bewegen konnten. Die Königin warf
sich auf ihre Kniee nieder, sie hielt ihre herrliche Goldkrone
hoch, und bat: "Nimm mir diese, aber schmiere meinen Gemahl
und meine Hofleute!" Da konnte der arme Mann, dem das Theater
und alle die Puppen gehörten, nicht anders, er mußte
weinen, denn es tat ihm so leid für sie; er versprach dem
Reisekamerad sogleich, ihm alles Geld zu geben, das er am nächsten
Abend für sein Spiel bekommen würde, wenn er nur vier,
fünf von seinen schönsten Puppen schmieren wollte.
Aber der Reisekamerad sagte, daß er nichts weiter verlange,
als den großen Säbel, den der andere an seiner Seite
trug, und als er ihn erhielt, schmierte er sechs Puppen, die
sogleich tanzen konnten und zwar so niedlich, daß alle
Mädchen, die lebendigen Menschenmädchen, die zusahen,
mittanzen mußten. Der Kutscher und das Küchenmädchen
tanzten, der Kellner und das Stubenmädchen, alle Gäste,
und auch die Feuerschaufel und die Feuerzange, aber diese beiden
fielen gleich um, als sie die ersten Sprünge machten -
ja, das war eine lustige Nacht.- Am nächsten Morgen gingen
Johannes und sein Reisekamerad fort von ihnen allen zu den hohen
Bergen hinauf und durch die großen Tannenwälder.
Sie kamen so hoch hinauf, daß die Kirchtürme tief
unter ihnen zuletzt wie kleine rote Beeren in all dem Grünen
da unten aussahen, und sie konnten weit ins Land hinaussehen,
viele, viele Meilen, wohin sie noch nie gekommen waren! - Soviel
Schönes von der herrlichen Welt hatte Johannes nie vorher
auf einmal erblickt, und die Sonne schien so warm durch die
frische, blaue Luft, und er hörte zwischen den Bergen die
Jäger das Waldhorn blasen, das klang so schön und
wohltönend, daß ihm das Wasser vor Freude in die
Augen stieg, und er mußte sagen: "Du guter, lieber
Gott! Ich möchte dich küssen, weil du so gut zu uns
allen bist und uns all die Herrlichkeit, die in der Welt ist,
gegeben hast!"
Der Reisekamerad stand auch mit gefalteten Händen und
sah hinaus über die Wälder und Städte in den
warmen Sonnenschein. Da erklang es auf einmal wunderbar süß
über ihren Häuptern. Sie blickten empor: ein großer,
weißer Schwan schwebte in der Luft; der war so schön
und sang, wie sie niemals vorher einen Vogel hatten singen hören.
Aber der Gesang wurde schwächer und schwächer; er
beugte sein Haupt, der schöne Vogel, und sank ganz langsam
zu ihren Füßen nieder, wo er tot liegen blieb.
"Zwei so prächtige Flügel," sagte der Reisekamerad,
"so weiß und groß, wie sie der Vogel hier hat,
sind Geld wert. Die will ich mitnehmen! Siehst du nun, wie gut
es war, daß ich den Säbel bekam!" und so hieb
er mit einem Schlage die beiden Flügel des toten Schwanes
ab und nahm sie mit.
Sie reisten nun viele, viele Meilen weiter über die Berge,
bis sie zuletzt eine große Stadt vor sich sahen mit über
hundert Türmen, die wie Silber im Sonnenschein glänzten.
Mitten in der Stadt war ein prächtiges Marmorschloß,
das war gedeckt mit reinem Golde, und hier wohnte der König.
Johannes und der Reisekamerad wollten nicht gleich in die Stadt
hineingehen, sondern blieben in einem Wirtshause draußen
vor dem Tore, um sich zurechtzumachen, denn sie wollten hübsch
aussehen, wenn sie durch die Straßen kamen. Der Wirt erzählte
ihnen, daß der König so ein guter Mann wäre,
der keinem Menschen etwas zuleide tun könne, aber seine
Tochter, ja, Gott bewahre uns, das wäre eine böse
Prinzessin. An Schönheit besäße sie zwar genug,
niemand könne so hübsch und liebreizend sein, wie
sie, aber was hülfe das, sie wäre eine schlimme, böse
Hexe, die Schuld daran trüge, daß soviele prächtige
Prinzen ihr Leben verloren hatten. Allen Menschen hätte
sie gestattet, sich um sie zu bewerben. Jeder könnte kommen,
ob er ein Prinz oder Bettler wäre, wäre ihr ganz einerlei,
er sollte nur drei Dinge erraten, die sie ihn fragte, könnte
er das, so wolle sie sich mit ihm verheiraten, und er sollte
König über das ganze Land sein, wenn ihr Vater stürbe.
Könnte er aber die drei Dinge nicht erraten, so ließe
sie ihn hängen oder ihm den Hals abschlagen, so schlimm
und böse wäre die schöne Prinzessin. Ihr Vater,
der alte König, wäre tief betrübt darüber,
aber er könnte es ihr nicht verbieten so böse zu sein,
denn er hätte einmal gesagt, er wolle nie auch nur das
geringste mit ihren Freiern zu tun haben, sie könne selbst
tun und lassen, was sie wolle.
Jedesmal, wenn nun ein Prinz komme und raten solle, um die
Prinzessin zu erringen, so könne er sich nicht aus der
Schlinge ziehen, und dann würde er gehängt oder geköpft;
er wäre ja beizeiten gewarnt worden und hätte das
Freien lassen können. Der alte König wäre so
betrübt über all das Leid und Elend, daß er
in jedem Jahre einen ganzen Tag lang mit allen seinen Soldaten
auf den Knien liege und bete, daß die Prinzessin gut werden
möge, aber das wollte sie gar nicht. Die alten Weiber,
die Branntwein tränken, färbten ihn ganz schwarz,
bevor sie ihn tränken, so traurig wären sie, mehr
könnten sie doch nicht tun.
"Die häßliche Prinzessin!" sagte Johannes,
"sie sollte wirklich die Rute fühlen, das könnte
ihr nur gut tun. Wäre ich nur der alte König, sie
sollte mir windelweich geklopft werden!"
In demselben Augenblick hörten sie draußen das Volk
Hurra rufen. Die Prinzessin kam vorbei, und sie war wirklich
so wunderschön, daß alle Leute vergaßen, wie
schlecht sie war, darum riefen sie Hurra. Zwölf schöne
Jungfrauen, alle in weißen seidenen Kleidern und mit einer
goldenen Tulpe in der Hand, ritten auf kohlschwarzen Pferden
ihr zur Seite; die Prinzessin selbst hatte ein schneeweißes
Pferd, geschmückt mit Diamanten und Rubinen, ihr Reitkleid
war aus purem Golde, und die Peitsche, die sie in der Hand trug,
sah aus, als sei sie ein Sonnenstrahl. Die goldene Krone auf
ihrem Haupte schimmerte gerade wie die kleinen Sterne oben am
Himmel, und der Mantel war aus über tausend prächtigen
Schmetterlingsflügeln zusammengenäht; aber sie selbst
war noch schöner als alle ihre Kleider.
Als Johannes sie erblickte, ward sein Antlitz so rot, wie von
Blut übergossen, und er konnte kaum ein einziges Wort sagen.
Die Prinzessin sah ja ganz genau aus, wie das wunderschöne
Mädchen mit der goldenen Krone, von der er in der Nacht,
als sein Vater gestorben war, geträumt hatte. Er fand sie
so liebreizend, daß er nicht anders konnte, er mußte
sie lieben. Das sei bestimmt nicht wahr, sagte er, daß
sie eine böse Hexe sein könne, die die Leute hängen
oder köpfen ließ, wenn sie nicht erraten konnten,
was sie von ihnen verlangte.
"Es steht ja jedem frei, sich um sie zu bewerben, auch
dem elendsten Bettler. Ich will auch auf das Schloß gehen,
ich kann es nicht lassen!"
Alle sagten sie, er solle das nicht tun, es würde ihm
bestimmt so ergehen, wie allen anderen. Auch der Reisekamerad
riet ihm davon ab, aber Johannes meinte, es würde schon
alles gut gehen, und er bürstete seine Schuhe und seine
Kleider, wusch Gesicht und Hände, kämmte sein schönes
blondes Haar und ging dann ganz allein in die Stadt hinein auf
das Schloß.
"Herein!" sagte der alte König, als Johannes
an die Türe klopfte. Johannes öffnete, und der alte
König, im Schlafrock und gestickten Pantoffeln, kam ihm
entgegen. Die Goldkrone hatte er auf dem Kopf, das Zepter in
der einen Hand und den Reichsapfel in der anderen. "Warte
ein bißchen!" sagte er, und nahm den Apfel unter
den Arm, damit er Johannes die Hand reichen konnte. Aber kaum
hörte er, daß Johannes ein Freier war, fing er so
bitterlich an zu weinen, daß sowohl Zepter wie Reichsapfel
auf die Erde fielen und er die Augen an seinem Schlafrock trocknen
mußte. Der arme, alte König!
"Laß es sein!" sagte er, "es ergeht dir
übel, wie allen den anderen auch. Du wirst es ja sehen!"
Dann führte er Johannes in den Lustgarten der Prinzessin
hinaus. Dort sah es schrecklich aus! Oben in jedem Baume hingen
drei, vier Königssöhne, die um die Prinzessin gefreit
hatten, die Dinge, die ihnen die Prinzessin aufgegeben hatte,
aber nicht hatten erraten können. Jedesmal, wenn der Wind
wehte, klapperten die Gebeine, so daß die kleinen Vögel
erschraken und niemals mehr in den Garten zu kommen wagten;
alle Blumen waren mit Menschenknochen aufgebunden, und in den
Blumentöpfen standen Totenköpfe und grinsten. Das
war ein seltsamer Garten für eine Prinzessin.
"Da kannst du selbst sehen!" sagte der alte König,
"es wird dir ergehen, wie allen den anderen, die du hier
siehst, darum laß es lieber sein. Du machst mich wirklich
unglücklich, denn so etwas geht mir sehr nahe!"
Johannes küßte dem guten, alten König die Hand
und sagte, es werde schon alles glücken, denn er liebe
die schöne Prinzessin so sehr.
Da kam die Prinzessin selbst mit allen ihren Damen in den Schloßhof
geritten; sie gingen zu ihr hinaus und sagten guten Tag. Sie
war so lieblich und reichte Johannes die Hand, und er konnte
sie noch besser leiden, als zuvor. Sie konnte doch unmöglich
eine so grausame und böse Hexe sein, wie die Leute ihr
nachsagten! Dann gingen sie in den Saal hinauf, und die kleinen
Edelknaben präsentierten Eingezuckertes und Pfeffernüsse,
aber der alte König war so betrübt, daß er gar
nichts essen konnte; die Pfeffernüsse waren ihm auch zu
hart.
Es wurde nun bestimmt, daß Johannes am nächsten
Morgen wieder auf das Schloß kommen sollte, dann sollten
die Richter und der ganze Rat versammelt sein und hören,
wie er mit dem Raten fertig würde. Käme er gut davon,
so sollte er noch zweimal wiederkommen, aber bisher habe es
noch niemand gegeben, der die erste Frage richtig geraten hätte,
und so mußten sie ihr Leben lassen.
Johannes war gar nicht besorgt darum, wie es ihm ergehen würde;
er war ganz vergnügt, dachte nur an die schöne Prinzessin
und glaubte ganz fest, daß der liebe Gott ihm schon beistehen
werde, aber wie, das wußte er freilich nicht und wollte
auch lieber gar nicht daran denken. Er tanzte fast die Landstraße
entlang, als er zum Wirtshause zurückging, wo der Reisekamerad
auf ihn wartete.
Johannes konnte nicht aufhören zu erzählen, wie lieb
und nett die Prinzessin zu ihm gewesen wäre, und wie wunderschön
sie sei; er sehnte bereits heftig den nächsten Tag herbei,
wo er auf das Schloß sollte, um es mit dem Raten zu versuchen.
Aber der Reisekamerad schüttelte mit dem Kopfe und war
ganz betrübt. "Ich habe dich so lieb!" sagte
er, "wir hätten noch lange zusammenbleiben können,
und nun soll ich dich schon verlieren! Du armer, lieber Johannes,
ich könnte weinen, aber ich will am letzten Abend, den
wir vielleicht zusammen sind, deine Freude nicht stören.
Wir wollen lustig sein, recht lustig, morgen, wenn du fort bist,
werde ich noch genug weinen können!"
Alle Leute in der Stadt hatten sofort erfahren, daß ein
neuer Freier für die Prinzessin sich eingefunden habe,
und es herrschte darob große Betrübnis. Das Theater
wurde geschlossen, alle Kuchenfrauen banden schwarzen Flor um
ihre Zuckerferkel, und der König und die Priester lagen
in der Kirche auf den Knien. Alle Welt trauerte, denn es konnte
Johannes ja nicht besser gehen, als es allen anderen Freiem
ergangen war.
Gegen Abend bereitete der Reisekamerad eine große Flasche
Punsch und sagte zu Johannes: "Nun wollen wir recht lustig
sein und auf das Wohl der Prinzessin trinken." Als aber
Johannes zwei Glas getrunken hatte, wurde er so schläfrig,
daß es ihm nicht mehr möglich war, die Augen offen
zu halten, er fiel in tiefen Schlaf. Der Reisekamerad hob ihn
ganz sachte vom Stuhle auf und legte ihn ins Bett, und als es
dann finstere Nacht geworden war, nahm er die beiden großen
Schwingen, die er dem Schwan abgehauen hatte, band sie fest
an seine Schultern; die größte Rute, die er von der
alten Frau bekommen hatte, die gefallen war und das Bein gebrochen
hatte, steckte er in seine Tasche, schloß das Fenster
auf und flog über die Stadt gerade in das Schloß,
wo er sich in eine Ecke dicht unter das Fenster setzte, wo die
Prinzessin ihre Schlafkammer hatte.
Es war ganz totenstill in der ganzen Stadt; nun schlug die
Uhr dreiviertelzwölf. Das Fenster ging auf, und die Prinzessin
flog in einem großen, weißen Mantel und mit langen,
schwarzen Flügeln über die Stadt hin, hinaus zu einem
großen Berge. Aber der Reisekamerad machte sich unsichtbar,
so daß sie ihn nicht sehen konnte, flog hinter ihr her
und peitschte die Prinzessin mit seiner Rute, so daß tüchtig
Blut floß, wo er hinschlug. Hu! war das eine Fahrt durch
die Luft! Der Wind fing sich in ihrem Mantel, so daß er
sich nach allen Seiten ausbreitete wie ein großes Schiffssegel,
und der Mond schien durch den Mantel hindurch.
"Wie es hagelt! Wie es hagelt!" sagte die Prinzessin
bei jedem Rutenschlag, und das geschah ihr recht. Endlich langte
sie draußen bei dem Berge an und pochte. Es tönte
wie Donnnerrollen, als der Berg sich öffnete. Die Prinzessin
ging hinein und der Reisekamerad ging ihr nach, denn niemand
konnte ihn sehen, er war unsichtbar. Es ging durch einen großen,
langen Gang, in dem die Wände ganz absonderlich schimmerten.
Es waren über tausend glühende Spinnen, die die Mauer
auf und nieder liefen und wie Feuer leuchteten. Nun kamen sie
in einen großen Saal, aus Gold und Silber erbaut. Blumen,
groß wie Sonnenblumen, rot und blau, schimmerten von den
Wänden. Aber niemand konnte die Blumen pflücken, denn
die Stiele waren häßliche, giftige Schlangen, und
die Blumen waren Feuer, das ihnen aus dem Rachen flammte. Die
ganze Decke war mit leuchtenden Johanniswürmchen und himmelblauen
Fledermäusen bedeckt, die mit ihren dünnen Flügeln
schlugen; es sah ganz wundersam aus. Mitten auf dem Fußboden
stand ein Thron, der von vier Pferdegerippen getragen wurde,
die Zaumzeug aus roten Feuerspinnen hatten. Der Thron selbst
war aus milchweißem Glas, und die Sitzkissen waren kleine,
schwarze Mäuse, die einander in den Schwanz bissen. Oben
darüber war ein Dach aus rosenroten Spinnenweben, besetzt
mit den niedlichsten kleinen, grünen Fliegen, die wie Edelsteine
schimmerten. Mitten auf dem Thron saß ein alter Zauberer,
mit einer Krone auf dem häßlichen Kopf und einem
Zepter in der Hand. Er küßte die Prinzessin auf die
Stirn, ließ sie an seiner Seite auf dem kostbaren Thron
sitzen, und nun begann die Musik. Große schwarze Heuschrecken
spielten Mundharmonika, und die Eule schlug sich auf den Bauch,
denn sie hatte keine Trommel. Es war ein komisches Konzert.
Kleine, schwarze Kobolde mit einem Irrlicht auf der Kappe, tanzten
im Saal herum. Niemand konnte den Reisekameraden sehen. Er hatte
sich gerade hinter den Thron gestellt und sah und hörte
alles, was vorging. Die Hofleute, die nun auch hereinkamen,
waren sehr schön und vornehm, aber wer genau hinsah, merkte
wohl, wie es mit ihnen bestellt war. Sie waren nichts anderes,
als Besenstiele mit Kohlköpfen darauf, in die der Zauberer
Leben gehext, und denen er gestickte Kleider gegeben hatte.
Aber das war ja auch gleich, sie wurden nur zum Staat gebraucht.
Nachdem nun etwas getanzt worden war, erzählte die Prinzessin
dem Zauberer, daß sich ein neuer Freier eingefunden habe
und fragte deshalb, woran sie wohl denken sollte, um ihn am
anderen Morgen danach zu fragen, wenn er ins Schloß käme.
"Höre", sagte der Zauberer, "nun will ich
dir etwas sagen! Du mußt etwas recht leichtes nehmen,
denn darauf kommt er sicher nicht. Denk an deinen einen Schuh.
Das rät er nicht. Laß ihm dann den Kopf abschlagen;
aber vergiß nicht, wenn du morgen wieder zu mir heraus
kommst, mir seine Augen mitzubringen, denn die will ich essen!"
Die Prinzessin verneigte sich ganz tief und sagte, sie wolle
die Augen nicht vergessen. Der Zauberer schloß nun den
Berg auf, und sie flog wieder nach Hause, aber der Reisekamerad
folgte ihr nach und prügelte sie so heftig mit der Rute,
daß sie tief über das starke Hagelwetter seufzte
und sich beeilte, was sie nur konnte, um wieder durch das Fenster
in ihre Schlafkammer zu kommen. Der Reisekamerad flog wieder
zurück zu dem Wirtshause, wo Johannes noch schlief, löste
seine Flügel ab und legte sich dann auch auf das Bett,
denn er durfte wohl müde sein.
Es war ganz zeitig am Morgen, als Johannes erwachte. Der Reisekamerad
stand ebenfalls auf und erzählte, daß er heute Nacht
einen ganz wunderlichen Traum geträumt habe von der Prinzessin
und ihrem Schuh und er bat ihn daher, doch ja zu fragen, ob
die Prinzessin nicht an ihren einen Schuh gedacht habe! Denn
das war es ja, was er von dem Zauberer in dem Berge gehört
hatte, aber er wollte Johannes nichts davon erzählen. So
bat er Johannes nur, zu fragen, ob sie an ihren einen Schuh
gedacht habe.
"Ich kann gerade so gut das wie etwas anderes fragen",
sagte Johannes. "Es kann doch vielleicht ganz richtig sein,
was du geträumt hast, denn ich vertraue allezeit auf den
lieben Gott, der wird mir schon helfen! Aber ich will dir doch
lebewohl sagen, denn rate ich falsch, so bekomme ich dich nie
mehr zu sehen!"
Dann küßten sie einander, und Johannes ging in die
Stadt hinein auf das Schloß. Der ganze Saal war voll von
Menschen; die Richter saßen in ihren Lehnstühlen
und hatten Eiderdaunenkissen unter dem Kopfe, denn sie hatten
soviel zu denken. Der alte König stand auf und trocknete
seine Augen mit einem weißen Taschentuch. Nun trat die
Prinzessin ein. Sie war noch viel schöner als gestern und
grüßte alle gar lieblich, aber Johannes gab sie die
Hand und sagte: "Guten Morgen, du!"
Nun sollte Johannes erraten, an was sie gedacht hatte. Gott,
wie sah sie ihn so freundlich an! Aber kaum hörte sie ihn
das eine Wort: "Schuh" aussprechen, da ward sie kreideweiß
im Gesicht und zitterte am ganzen Körper, aber das konnte
ihr nichts helfen, denn er hatte richtig geraten!
Heil wie wurde der alte König da froh! Er schlug Purzelbäume,
daß es ein Vergnügen war, und alle Leute klatschten
in die Hände für ihn und Johannes, der nun das erste
Mal richtig geraten hatte.
Der Reisekamerad war auch sehr froh, als er erfuhr, wie gut
es abgelaufen war; aber Johann faltete seine Hände und
dankte dem lieben Gott, der ihm sicherlich auch die beiden anderen
Male helfen würde. Am nächsten Tage schon sollte wieder
geraten werden.
Der Abend verging ebenso wie der gestrige. Als Johannes schlief,
flog der Reisekamerad hinter der Prinzessin her zum Berge hinaus
und prügelte sie noch stärker, als das vorige Mal,
denn nun hatte er zwei Ruten genommen. Niemand bekam ihn zu
sehen, und er hörte alles. Die Prinzessin wollte an ihren
Handschuh denken, und er erzählte das Johannes, als ob
es ein Traum gewesen sei. Nun konnte Johannes wohl richtig raten,
und im Schlosse herrschte eitel Freude. Der ganze Hof schlug
Purzelbäume, wie man es vom Könige das erste Mal gesehen
hatte; aber die Prinzessin lag auf dem Sofa und mochte nicht
ein einziges Wort sagen. - Nun kam es darauf an, ob Johannes
auch das dritte Mal richtig raten konnte. Ging es gut ab, so
sollte er ja die schöne Prinzessin haben und das ganze
Königreich erben, wenn der alte König starb. Riet
er verkehrt, so sollte er sein Leben lassen und der Zauberer
würde seine schönen blauen Augen essen.
Am Abend vorher ging Johannes zeitig zu Bett, sprach sein Abendgebet
und schlief dann ganz ruhig; aber der Reisekamerad band seine
Flügel an den Rücken, schnallte den Säbel an
die Seite, nahm alle drei Ruten mit und flog dann zum Schlosse.
Es war stockfinstere Nacht, und es stürmte, daß
die Dachziegel von den Häusern flogen, und die Bäume
im Garten wo die Gerippe hingen, schwankten wie Schilf im Winde.
Es blitzte jeden Augenblick, und der Donner grollte, als ob
es nur ein einziger Schlag sei, die ganze Nacht hindurch. Nun
schlug das Fenster auf, und die Prinzessin flog heraus. Sie
war so bleich wie der Tod, aber sie lachte des bösen Wetters,
ihr schien es noch nicht wild genug; ihr weißer Mantel
wirbelte durch die Luft wie ein großes Schiffssegel, aber
der Reisekamerad peitschte sie mit seinen drei Ruten, daß
das Blut auf die Erde niedertröpfelte, und sie zuletzt
kaum mehr weiter fliegen konnte. Endlich langte sie doch beim
Berge an.
"Es hagelt und stürmt", sagte sie, "noch
nie bin ich bei solchem Wetter aus gewesen."
"Man kann auch des Guten zuviel bekommen!" sagte
der Zauberer. Nun erzählte sie ihm, daß Johannes
auch das zweite Mal richtig geraten habe; täte er morgen
dasselbe, so habe er gewonnen und sie könne niemals wieder
zu dem Berge heraus kommen, und auch nie wieder ihre Zauberkünste
üben, wie bisher; darüber sei sie ganz betrübt.
"Er soll es nicht raten können!" sagte der Zauberer,
"ich werde schon etwas herausfinden, worauf er nie verfallen
wird! Oder aber er müßte ein größerer
Zauberer sein als ich. Und nun wollen wir lustig sein".
Damit nahm er die Prinzessin bei beiden Händen und sie
tanzten zwischen allen den kleinen Kobolden und Irrlichtern,
die im Saale waren, herum; die roten Spinnen sprangen an den
Wänden ebenso lustig auf und nieder, es sah aus, als ob
Feuerblumen sprühten. Die Eulen schlugen die Trommel, die
Heimchen zirpten, und die schwarzen Heuschrecken bliesen die
Harmonika. Es war ein lustiger Ball. -
Als sie nun genug getanzt hatten, mußte die Prinzessin
nach Hause denn sonst konnte sie im Schlosse vermißt werden.
Der Zauberer sagte, daß er sie auf dem Wege begleiten
wolle, dann könnten sie wenigstens noch so lange zusammen
sein.
Dann flogen sie in dem bösen Wetter davon, und der Reisekamerad
zerschlug seine drei Ruten, auf ihrem Rücken. Nie war der
Zauberer in solch einem Hagelwetter ausgewesen. Vor dem Schlosse
draußen sagte er der Prinzessin Lebewohl und flüsterte
ihr dabei zu: "Denk an meinen Kopf!" Aber der Reisekamerad
hörte es doch, und in demselben Augenblick, als die Prinzessin
durch das Fenster in ihre Schlafkammer schlüpfte und der
Zauberer wieder umkehren wollte, griff er ihn an seinem langen,
schwarzen Barte und hieb ihm mit dem Säbel seinen garstigen
Zaubererkopf bis zu den Schultern herunter ab, so daß
der Zauberer ihn nicht einmal selbst zu sehen bekam. Den Körper
warf er hinaus in die See zu den Fischen, aber den Kopf tauchte
er nur in das Wasser und band ihn dann in sein seidenes Taschentuch,
nahm ihn mit sich heim ins Wirtshaus und legte sich schlafen.
Am nächsten Morgen gab er Johannes das Taschentuch, sagte
aber, daß er es nicht eher aufknüpfen dürfe,
bevor die Prinzessin fragte, woran sie gedacht habe.
Es waren so viele Menschen in dem großen Saale auf dem
Schloß, daß sie so dicht standen wie Radieschen,
die zum Bündel gebunden sind. Der Rat saß in seinen
Stühlen mit den weichen Kopfkissen, und der alte König
hatte neue Kleider an, die goldene Krone und das Zepter waren
poliert, alles war feiertäglich; aber die Prinzessin war
sehr bleich und hatte ein kohlschwarzes Kleid an, als ob sie
zum Begräbnis gehen sollte.
"An was habe ich gedacht? sagte sie zu Johannes, und sogleich
band er das Taschentuch auf, war aber selbst erschrocken, als
er das scheußliche Zaubererhaupt erblickte. Ein kalter
Schauder überlief alle die Menschen im Saal, denn es war
entsetzlich anzusehen. Aber die Prinzessin saß gerade
wie ein Steinbild und konnte kein einziges Wort hervorbringen.
Zuletzt erhob sie sich und reichte Johannes die Hand, denn er
hatte ja richtig geraten. Sie wandte den Blick ab und seufzte
ganz laut: "Nun bist du mein Herr! Heute abend wollen wir
Hochzeit halten!"
"So gefällt es mir!" sagte der alte König,
"und so wollen wir es halten!" Alle Leute riefen Hurra,
die Wachtparade machte Musik in den Straßen, die Glocken
läuteten, und die Kuchenfrauen nahmen den schwarzen Flor
von ihren Zuckerferkeln, denn nun herrschte Freude! Drei ganze
gebratene Ochsen, mit Enten und Hühnern gefüllt, wurden
mitten auf den Markt gesetzt, und ein jeder konnte sich ein
Stück abschneiden. In den Springbrunnen sprudelte der herrlichste
Wein, und kaufte man einen Schillingskringel beim Bäcker,
so bekam man sechs große Pfannkuchen als Zugabe und noch
dazu mit Rosinen darin.
Am Abend war die ganze Stadt illuminiert, die Soldaten schossen
mit Kanonen und die Knaben mit Knallerbsen, und auf dem Schlosse
wurde gegessen und getrunken, angestoßen und gesprungen,
all die vornehmen Herren und schönen Fräulein tanzten
miteinander, und man konnte weit hinaus hören, wie sie
sangen:
"Hier sind viele hübsche Mädchen,
Die ein Tänzchen haben wolle.
Küß mich! Dreh dich wie ein Rädchen,
Schmuckes Mädchen! Nur nicht schmollen!
Dreh dich um mich, wie die Sonn um die Welt
und bis von den Schühlein die Sohle fällt!"
Aber die Prinzessin war ja noch eine Hexe und hatte Johannes
gar nicht lieb. Das überlegte der Reisekamerad, und darum
gab er Johannes drei Federn aus den Schwanenflügeln und
eine kleine Flasche mit einigen Tropfen darin, und sagte zu
Ihm, er solle vor das Brautbett ein großes Faß,
mit Wasser gefüllt, setzen lassen, und wenn dann die Prinzessin
in das Bett steigen wolle, so solle er ihr einen kleinen Stoß
geben, daß sie in das Wasser hinunterfalle, wo er sie
dreimal untertauchen solle, nachdem er zuvor die Federn und
die Tropfen hineingetan hätte, dann würde sie von
dem Zauber befreit werden und ihn recht lieb haben.
Johannes tat alles, was der Reisekamerad ihm geraten hatte;
die Prinzessin schrie ganz laut, als er sie unter das Wasser
tauchte und zappelte ihm unter den Händen als ein großer,
kohlschwarzer Schwan mit funkelnden Augen. Als sie das zweite
Mal aus dem Wasser hervorkam, war der Schwan weiß bis
auf einen einzigen schwarzen Ring um den Hals. Johannes betete
fromm zu Gott und ließ das Wasser zum dritten Male über
dem Vogel zusammenschlagen, und im selben Augenblick verwandelte
er sich in die schönste Prinzessin. Sie war noch liebreizender
als zuvor und dankte ihm mit Tränen in den schönen
Augen, daß er den Zauber von ihr genommen habe.
Am nächsten Morgen kam der alte König mit seinem
ganzen Hofstaat, und da gab es ein Gratulieren bis lang in den
Tag hinein. Zu allererst kam der Reisekamerad, er hatte den
Stock in der Hand und das Ränzel auf dem Rücken. Johannes
küßte ihn immer wieder und sagte, er dürfe nicht
fortreisen, er solle doch bleiben, denn er wäre ja die
Ursache seines ganzen Glückes. Aber der Reisekamerad schüttelte
den Kopf und sagte mild und freundlich: "Nein, nun ist
meine Zeit um. Ich habe nur meine Schuld bezahlt. Kannst du
dich noch an den toten Mann erinnern, dem schlechte Menschen
Böses zufügen wollten? Du gabst alles, was dein war,
dahin, damit er Ruhe in seinem Grabe haben konnte. Der Tote
bin ich!"
Im demselben Augenblicke war er verschwunden.
Die Hochzeit währte einen ganzen Monat lang. Johannes
und die Prinzessin liebten einander innig, und der alte König
erlebte noch viele frohe Tage und ließ ihre kleinen Kinder
auf seinen Knien reiten und mit seinem Zepter spielen. Johannes
aber wurde König über das ganze Reich.
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